Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Philipp II. die bedeutendsten Gelehrten als Lehrer herbei und mit ihnen Studiosen aus den fernsten Ländern. Seit längerer Zeit sind Coryphäen der Wissenschaft in Marburg selten. – Einen Stern erster Größe hatte es in unsern Tagen, er warf hellen Schein auf die alternde Mutter; aber der Stern ist verhüllt und bevor er wieder erscheint, wird sich noch manches Auge schließen. Der Kranz ist herabgerissen von Marburgs Haupte, sein hoher Priester im Tempel des Wissens ist nicht gestorben, aber das Schwert ist gebrochen in der Hand des Feldherrn, das warme Wort der Wahrheit und der Weisheit gleitet nicht mehr über seine Lippen, daß es einziehe in die Herzen seiner Schüler. Droben in der Fürstenburg, wo das Verbrechen wohnt, – dort mit Räubern, Mördern und Dieben unter einem Dache, dort schmachtet Der im Kerker, dessen Name jedem wackern Hessen in’s Herz gegraben ist; dort hält man den Leib gefangen des freien Geistes, der Hessens Verfassung schrieb, und Allen verbrieft hat, was er allein entbehrt. Jedem Volke, das der Herr lieb hat, gab er bei entstehenden Revolutionen eine vermittelnde, lenkende Hand. Die Franzosen hatten ihren Lafayette, die Holländer ihren Oranien, die Nordamerikaner ihren Franklin, ihren Washington, die Hessen – sie hatten ihren Jordan. Das ist der Stern, der jetzt Kerkermauern erleuchtet; das ist der Kranz, der herabgefallen, das ist das Schwert, das zerbrochen; das ist der hohe Priester, der für Hessen das heilige Feuer geschürt hat am Altare der Freiheit, der sie gesetzlich geordnet hat mit eben so viel Kraft als Milde, und mit Kinderglauben an die Treue eines Fürstenworts. Was hat er denn verbrochen? hatte er mahnend und warnend die Hand erhoben gegen den Thron hin, oder machte er blutleere Höflinge erröthen? Oder rechnet man ihm jetzt nach und rechtet mit ihm über Dinge, die abgethan schienen und fertig, wie ein geschlossenes Buch? Niemand will davon reden. Wir wissen nur: Alles Große fordert Opfer, alles Heilige bedingt Sühne, und auch der Größte und Beste auf Erden ward einst gekreuzigt.
Jahrhunderte ziehen hinab, die Jahre rollen vorüber; es wechselt das Glück, es wechselt die Macht, Throne und Fürstenstühle wechseln ihre Inhaber und diese selbst sind dem Loose alles Irdischen unterworfen; auch die Stimme der öffentlichen Meinung steigt auf und nieder, ebbt und fluthet. Die Fluth wird wiederkommen und der Tag nicht ausbleiben, wo sie, laut, wie der Donner, ein Urtheil fällt über Jordan und seine Feinde. Ich sage es ohne Furcht: wem, wie diesem Manne, in kritischen Stunden die Vollmacht ward, für die gesellschaftlichen Verhältnisse eines ganzen Volks neue Fundamente zu legen zum friedlichen Aufbau – und wer die Kraft hatte, wie er, solches tüchtig zu vollbringen und ohne Mißbrauch – dem hat Gott sein Siegel auf die Stirn gedrückt, und unbekümmert um das Urtheil der gemeinen Gerechtigkeit, zolle ich einem solchen Manne Ehrfurcht und Liebe.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/236&oldid=- (Version vom 6.1.2025)