Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Genius der Gräber und Ruinen! wie oft schon warst du mir der Engel, der die von den Qualen der Brüder gebeugte Seele aus dem Gewühl des Alltaglebens rettete, aus den Schlössern, wo Dunkel und Tyrannei, mit Bediententhum und Niedertracht im Bunde, den Völkern Leiden bereiten; aus den Palästen, wo Uebersättigung und Unnatur die Seele entadeln; aus den Gerichtshöfen und Collegien, wo so oft die verpflichteten Hüter der Gesetze und der guten Sitte sittliche Verruchtheit aussäen und schamlos das mit Füßen treten, was sie pflegen sollen; aus den Städten, wo der Bürger Mehrzahl, allem Höheren und Edleren fremd und zugeschlossen, sich zwischen der Sucht nach Gelderwerb und rohem Sinnengenuß theilt; aus den Dörfern und Hütten, wo mit Unwissenheit der Unglaube, mit Lüderlichkeit die Abstreifung des Ehrgefühls und aller Ehrfurcht für das wahrhaft Große, Rechte und Gute so oft Hand in Hand gehen und wo unter dem Einfluß des schlechten Beispiels von Oben und dem Drucke der Ungerechtigkeit das Elend wuchert: – O Genius! wie oft habe ich bei dir die Ruhe wieder gefunden, die mir das Getümmel des Lebens nahm, und Blumen gepflückt an deinen Gräbern, die ich in dem Strom des Lebens vergeblich suchte. Aus deinen Aschenhügeln entsteigt vor dem Auge ruhiger Betrachtung die Versöhnung mit der Wirklichkeit wie ein Phönix, und du lehrst mich urtheilen ohne Leidenschaft, ohne Zorn und ohne Furcht über Menschen und Dinge.
Das Bild hieneben führt zum ältesten Todtenacker der Erde, zur Necropolis der Könige jenes Reichs, das aus dem Gebiete der Sage zuerst in die Geschichte tritt. Tief in Afrika’s Innerm, wo jetzt Nubien und Kordofan an einander grenzen, wo der unglückliche Fellah für den Aegypter, seinen Herrn, am sumpfigen Ufer des Nils Baumwolle und Reis baut und arabische Nomadenstämme auf den verbrannten Höhen spärliche Weide suchen – dort lag Meroe. Meroe ist das Land, von dem die Kulturgeschichte der Menschheit anhebt; denn von dort aus drangen Bevölkerung, Anbau und Gesittung den Nil hinab nach Aegypten, und wie ägyptische Kultur die Mutter der europäischen ist, so hat diese wieder in Meroe ihre Ahnfrau zu
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/33&oldid=- (Version vom 28.12.2024)