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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/34

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suchen. Jenseits dieser Grenze herrscht Ungewißheit und finstere Nacht, und wenn es auch wahrscheinlich ist, daß Meroe selbst seine Bildung durch Einwanderung von Osten her empfangen, so ermangelt dieser Vermuthung doch jeder historische Beweis.

Priester-Könige zügelten das Volk von Meroe, – eins waren hier Religion und Herrschaft. Der König selbst war der Priesterkaste, die ihn wählte, als willenloses Werkzeug unterthänig, so sehr, daß sie ihm den Tag voraus bestimmte, wann er sterben sollte; und selbst mußte er sich dann den Tod geben. Die staatlichen Verpflichtungen der Bürger flossen mit denen der Religion zusammen; sie waren daher unverbrüchlich. In einem Lande, wie das Uferland des Nils, wo die Wohlfahrt mehr als irgendwo auf Erden von einer strenggeregelten Leitung abhängt, wo der Boden an sich nichts, die Bewässerung Alles gibt, da war eine solche Regierungsform ganz an ihrem Orte, und sie konnte Wunder der materiellen Wohlfahrt schaffen, deren Zeugen noch gegenwärtig das Staunen der Welt erregen. – Mit dem Augenblicke, wo, nach fast 3000jährigem Bestehen, unter veränderten Weltverhältnissen, unter dem Andrang der griechischen Kultur und den Streichen fremder Eroberer, die alte Religion und die alte Verfassung fielen, mußten auch die weitläufigen, durch strenge Vorschriften mit vieler Anstrengung erhaltenen großartigen Anstalten zu weitausgedehnter Bewässerung verfallen und Armuth und Verödung ihre lange und traurige Bahn beginnen. Der gewaltige Nilstrom, nicht mehr durch das gleichzeitige Zusammengreifen von Hunderttausenden beherrscht und zu dem Dienste des Staates und Volkes gezwungen, sondern fortan mehr und mehr sich selbst überlassen, wirkte verheerend, riß den fruchtbaren Boden mit fort, während der Wind der Wüste das übrige Land mit Sand bedeckte. Der Fluch ewiger Unfruchtbarkeit, welchen die gewürgten Priester in der Agonie des Todes über das Land ausgerufen, wurde buchstäblich wahr. Darum verlor, seit der Vertilgung der Theokratie, Meroe schnell seine Wichtigkeit; – sein Name hallte, wie ein vielstimmiges Echo, durch die nachfolgenden Jahrhunderte leiser und immer leiser; nur noch einmal dringt schwache Kunde von Kriegsleid und Elend in spätere Zeit, bis endlich durch den Sturm arabischer Horden Alles in Staub und Vergessenheit versinkt.

In dem Winkel, den die Vereinigung des von ostwärts zuströmenden Atbara mit dem Nil bildet, 1000 Schritte von letzterem entfernt, ragt aus haustiefem Schutt und Sand ein unförmlicher Hügel von gebrannten Backsteinen und Mauertrümmern – und in diesem wüsten, von Gestrüpp und Schlingpflanzen überwachsenen Haufen will man die Stelle erkennen, wo das Königshaus der Hauptstadt Meroe gestanden, welche so völlig verheert wurde von der Zeit, den Elementen und den Menschen, daß man selbst ihre Lage nicht mit Gewißheit angeben konnte, wenn nicht die Grabmonumente von dem Orte ihres Daseyns unverwerfliches Zeugniß ablegten. Diese, die Pyramiden von Meroe, liegen am rechten Nilufer, oberhalb der alten Stadt. Sie kommen