Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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nur zu oft und die prächtigen Logen des Hofs fast stets leer. Der Saal hat Kuppelbeleuchtung und ist von Ruhl’s Meisterhand in Stucco einfach, aber mit Geschmack verziert. –
Die Altstadt sticht in ihrem architektonischen Aeußern gegen die obere Neustadt eben so ab, wie Hof und Bürgerthum. Das letztere ist hier zu Hause, und ein tüchtiges, kräftiges ist es, wie irgendwo in Deutschland. Einige fünfzig Straßen, unregelmäßig, enge, keine einzige schön, durchschlingen sich, oder stoßen auf den neun Markten und Plätzen zusammen, welche freilich an Größe und Pracht mit jenen des neuen Cassels sich nicht vergleichen lassen: aber dafür erfreut das lebendige, rührige Treiben eines kräftigen Volks; Physiognomien, in welchen Arbeit, Unabhängigkeitssinn und Rechtsgefühl die Züge prägen, während in der Neustadt am häufigsten Livréengesindel und was diesem anhängt, widerwärtige Gesichter zur Schau tragen. Im Mittelpunkte der Altstadt steht der ehrwürdige Dom (gewöhnlich die große Kirche genannt), ganz frei auf dem St. Martinsplatze. Er ward in der Blüthenzeit des deutschen Kirchenbaustyls, im vierzehnten Jahrhundert, erbaut, und bleibt, wenn auch spätere Veränderungen und Zusätze Manches verunstalteten, immer ein herrliches Denkmal. In seinen Grabgewölben ruht eine lange Reihe guter und schlechter Fürsten Hessen’s, deren Mausoleen in der Kirche selbst der Nachwelt in Sprüchen und Allegorien erzählen, was sie waren und was sie nicht gewesen sind. Das Monument für Philipp den Großmüthigen ist das prachtvollste und extravaganteste seiner Art vielleicht in ganz Deutschland; es nimmt die eine ganze Seitenwand der Kirche ein und reicht bis zum Gewölbe des Hauptschiffs. Es wurde um 1570 aus Marmor errichtet, wo die Sündfluth des verdorbenen Geschmacks aus Italien schon über die deutsche Kunst hereingebrochen war. – In seinen ältesten Theilen nicht jünger als der Dom des heil. Martin ist das Rathhaus am Marktplatze. Der ihm vor einigen Jahren gegebene Name: „Feldlager der hessischen Freiheit!“ will kaum mehr passen, seitdem ihre Reihenführer in Thurme sitzen, oder im Grabe schlummern, und trotz der Fahnen der Bürgergarde, welche im Rathssaale schirmend hängen, kein braver Mann mehr Bürgermeister werden will: – immer aber werden die Vorgänge, welche hier in den Septembertagen des Jahres 1831 statt fanden, was auch noch geschehen möge, um ihr Andenken zu trüben, einen vergangenen Zeitraum in der hessischen Geschichte schließen, und zugleich die seyn, mit denen eine neue Aera anhebt. – Merkwürdige Gebäude der Altstadt sind noch der neue Stadtbau, deren Zimmer und Säle für geselliges Vergnügen, zu Conzerten und Bällen, zu den Ausstellungen von Kunstgegenständen, Versammlungen des Kunstvereins und des Vereins für hessische Geschichte etc. bestimmt sind; das Hauptzollamtsgebäude mit den Dienstwohnungen und Büreaus der Mauthbeamten; das Zeughaus mit Armatur-Seltenheiten; der alte Collegienhof und die lutherische Kirche mit schönen Bildern von Tischbein, und die große Maschinenfabrik von Henschel und Sohn.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/40&oldid=- (Version vom 29.12.2024)