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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/55

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und die früher bewunderten Erscheinungen des Luxus, der Mode und Pracht, welche das Herz kalt gelassen haben, treten in den Hintergrund, oder verschwinden.

Die Westminsterabtei ist nicht nur ein Tempel Gottes, sie ist das Pantheon Englands und dem Britenvolk das, was die Heiligthümer in Delphi und Olympia dem Volke von Hellas gewesen sind: ein Ehrentempel, in deren Räumen die Monumente und Denkzeichen der meisten Menschen bewahrt sind, welche an Britanniens welthistorischer Größe gebaut haben von Geschlecht zu Geschlecht. Sie ist eine heilige Stiftung, an welcher die Enkel immer von Neuem schmücken und mit der Liebe pflegen, die nicht erkalten kann, so lange die britische Flagge auf den Wassern weht, der britische Dreizack das Panier der Civilisation bleibt und ein britischer Bote zum Rathe der Fürsten und Völker geht. Bei der allegorischen Beziehung, in welcher die Westminsterabtei mit dem britischen Leben steht, ist in der uralten Volkssage, „mit ihr steht, mit ihr fällt England,“ eine gar tiefe Wahrheit verborgen. So wird’s einmal in Bezug auf Deutschland von der Walhalla heißen, wenn die rechte Bedeutung jener folgenreichen Stiftung dem ein-deutschen Volke in’s Mark und Fleisch gedrungen ist. –

Die Westminsterkirche war, wie der Name schon kund gibt, ursprünglich die Kirche eines Münsters oder Klosters, welches ein König der Ostsachsen, Sebert, nach seiner Bekehrung im 7. Jahrhundert auf der Stelle stiftete, wo ehedem ein Apollotempel gestanden hatte. Auf einem Raubzuge der Dänen wurden Kloster und Kirche bald nachher zerstört. König Edgar baute sie um 958 wieder auf. Auch dieser Bau litt hundert Jahre nachher durch Feuer so sehr, daß König Eduard, der Bekenner, 1065 ihn fast ganz neu bauen ließ. Abermals dauerte das Werk 160 Jahre, nach deren Verlauf es so baufällig war, daß es größtentheils eingelegt werden mußte. Auf dem uralten Grunde erhob sich nun in der Zeit von 1220 bis 1297 der jetzige Tempel. Er ist einer der schönsten im gothischen Styl und einer der größten in der Welt; denn mit Einschluß der Kapelle Heinrich’s VII. hat er eine Länge von 518 Fuß; der Querarm ist 190 Fuß lang und das Hauptschiff hat 102 Fuß Höhe. Die Thürme sind nur bis zur Hälfte ihrer ursprünglich-beabsichtigten Höhe ausgebaut worden; jeder ist 225 Fuß hoch. Der ganze Bau ist von grauem Kalkstein aufgeführt, bis auf die Gewölbe der Schiffe, zu denen man Ziegeln nahm. Alle Fenster (fast hundert) haben Glasmalereien. Noch sieht man an den Rippen der Tragpfeiler, der Decke etc. etc. die Spuren ehemaliger Vergoldung und Malerei; – doch hat 600jähriger Rauch und Staub Alles bis zur Unkenntlichkeit überdeckt, und die englische Pietät scheut vor dem Gedanken einer tüchtigen Restauration zurück. Erst in neuester Zeit hat man einige Ausbesserungen im Innern gewagt, aber, was ganz recht ist, die alten Formen stets mit gewissenhafter Treue wieder hergestellt oder erneuert.

Ein Gang in die Westminsterkirche gehörte während meines langen Aufenthaltes in London zu den