Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
|
Festen meines Lebens; nie betrat ich den Tempel ohne Ehrfurchtsschauer und nie habe ich ihn verlassen ohne das Bewußtseyn des gebesserten Menschen. Mehre Pforten und Pförtchen führen in das Heiligthum; hatte ich aber die rechte Stunde gewählt, so konnte ich durch das Hauptthor der Westfronte eintreten und den gewaltigen Eindruck in ganzer Fülle genießen. Hier steht man mit dem ersten Schritte sogleich in der Mitte der größten Männer Englands, deren Mausoleen rundum an den Wänden in die Höhe wachsen, schimmernd in dem bunten, geisterhaften Farbenspiel der gemalten Fenster. Unten am Boden stehen eine Menge Sarkophage, und von den Statuen Chatam’s und Pitt’s, dem hier sein großer Gegner Fox ganz friedlich gegenüber steht, gleitet der Blick gerne auf diese alten, ernsten, umpanzerten Gestalten, die so recht aus dem Grunde ihrer Seele zum ewigen Vater zu beten scheinen, und in ihrem steinernen Auge sah meine lebendige Phantasie eine Pforte in die unsichtbare Welt des Glaubens. In Sankt Paul, wo blos die neue Kunst die großartigsten Denkmäler versammelt, schärft der Verstand alle Umrisse, der Zauber der Poesie findet keine Stätte und die Betrachtung bleibt kalt. Hier dagegen, wo die herrlichsten Mausoleen der Neuzeit an die einfachen Denkmäler der alten Kunst sich reihen, wo die Grundfesten vor’s Auge treten, auf denen der gewaltige Bau des Nationalruhms ruht, zu dem jeder Brite voller Stolz und Hochgefühl den Blick richtet, erhält das Gemüth volle Nahrung. Das Ganze erscheint wie ein reiches, tief ergreifendes Epos, welches das Leben eines großen Volkes besingt. –
William Pitt’s colossale Statue hat den Ehrenplatz über dem großen Thore. Er ist als Redner dargestellt, in einem jener weltgeschichtlichen Momente, wo er durch die Allgewalt seiner Worte das Parlament Englands zu jenen großen Maßregeln hinriß, welche der Geschichte seiner Zeit Richtung und Ziel anwiesen. Unfern sind die Denkmäler der Seehelden Bayne, Blair und Manners; dann Flaxmann’s Verherrlichung des Weisen im Richterstuhle, des Grafen Mansfield; sodann folgt ein Strauß aus dem britischen Ehrenkranz der Schlachten, die Monumentengruppe der Admirale Warren, Vernon, Wager, Temple, West und Saumarez. Am entgegengesetzten Ende aber nimmt der Stolz des Jahrtausends den Ehrenplatz ein – die Colossalstatue Newton’s, „ein Columbus für viele neue Welten“. Ein weiter Kreis von berühmten Staatsmännern, Dichtern, Kriegern, Entdeckern, umgibt diesen Heros der Wissenschaft und des Denkens. – Der südliche Chorflügel umfängt und zunächst. Hier ragt über Alle ein fremder Gast – Pascal Paoli, - der große Corse, welcher aus dem unterjochten Vaterlande sich verbannte, nachdem er das freie so lange und mit ewigem Ruhme gegen fremde Uebermacht vertheidigt hatte; um ihn drängt sich ein Cyklus von britischen Helden, Staatsmännern und Männern der Wissenschaft. Das eigentliche Sanktuarium im Tempel aber ist der südliche Flügel des Querschiffes: die Dichterecke, (the Poets’ Corner), wo die Sänger und Dichter Englands zum Chore versammelt sind, von jenen begabten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/56&oldid=- (Version vom 30.12.2024)