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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/68

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immer lebendigen, vielstimmigen Gewimmel von Matrosen und Menschen, die das Ein- und Ausladen der Waaren beschäftigt; dahinter ragen die Fronten der öffentlichen Speicher, wo die Waaren des Auslandes unverzollt gegen eine geringe Abgabe niedergelegt werden können. Sie laufen fort bis zum Damme des Kanals Mahmudieh, und ihnen gegenüber ist wieder eine lange Reihe Speicher, große und vielstockige Gebäude, die jene Waaren in sich aufnehmen, welche aus dem Innern des Landes kommen und zur Ausfuhr dienen. Alles das sind Anlagen des Mannes, dessen despotischer Wille die Stadt, den Kanal, die Flotten schuf, der um das neue Aegypten den Prachtmantel der Civilisation warf, freilich keine Hülle für das Elend des Volks, das unglücklicher ist, unter Mehemed Ali’s Joch, als irgend eine auf der weiten Erde. Man muß dem Tyrannen fluchen, obschon man den Thatenmenschen anstaunen möchte: denn wer Alexandrien, das verlassene, wüste, öde, stille, am Anfang des Jahrhunderts sah und jetzt wiedersieht, kann der Versuchung kaum widerstehen, den starren Willen zu bewundern, der alles das so gänzlich verwandelt hat. Das Klopfen der Aexte und schweren Hämmer in den Ankerschmieden, das Knirschen der Sägen, das Knarren der Winden, der schrillende Ton der Pfeifen, das Rasseln der Trommeln, das Gewehrgeprassel der beständig exercirenden Truppen; das in Getöse sich auflösende Geschrei der Menschen aller Farben, Gepräge und Trachten; der abgemessene Gang der tausend und aber tausend Arbeiter an den öffentlichen Werken, an den Neubauten und in den Docks; das Halloh der Schiffer und Bootführer; die ankommenden und absegelnden Schiffe, und die langraaigen Barken, welche in jeder Richtung die Fluthen durchstreifen; der unaufhörliche Donner der Kanonen von den Forts, der die Salutationen der fremden Schiffe beantwortet: das nimmerrastende Durcheinander im Treiben der Gewerbthätigkeit, des Handels und des Kriegs sind ein wunderbares Schauspiel, das die Sinne verwirrt. Dabei erscheint es extravagant, unnatürlich und auf gewaltigen Effekt berechnet. – Ein Gemälde andrer Art und nicht weniger Staunen erregend erwartet den europäischen Neuankömmling im Innern. Menschen, Thiere, Gebräuche, Sprachen, Formen, Farben, nichts gleicht dem, was ihm bis jetzt bekannt war. Da sind Beduinen mit braunen Gesichtern, dichtem Barte, lebhaften und durchdringenden Augen, wie römische Senatoren in weiße Togas gehüllt; Fellahs in brauner und blauer Tunika und rothem Käppchen; grandiose Türken in ihren Pelzen; krausköpfige, schwarze und nackte Abyssinier und Mohren aus Sennaar und Kordofan; Frauen, ohne andere Bekleidung als ein blaues Stück Zeuch und Hemd, andere mit Leinwandlarven wie häßliche Carnevalslarven, während die anmuthigen Formen und Glieder an antike Göttergestalten erinnern; Negerbataillone in rother Uniform; Marinesoldaten mit den rothen, faßweiten, gestreiften Pantalons und barfuß; Araber-Schaaren zu Pferde; europäische Reiter, vor denen schwarze Läufer hertrollen; Wasserträger, die auf ihren Dromedaren sitzen und gestreckten Trabes mitten durch die Volksmenge fliegen; dann lange Caravanen, die sich wie ein tausendköpfiger, tausendfüßiger Lindwurm langsamen Schrittes vorwärts bewegen; und Alles dieß drängt sich, kreuzt sich, stößt sich in erstickenden, dumpfigen