Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
|
mit seinen Freunden Bohrversuche und Beobachtungen veranstalten, um das Wesen der Gletscher und ihr räthselhaftes, selbstthätiges Wirken im Erdenhaushalte zu erforschen.“
„Wie kühn ist doch der menschliche Geist in Beseitigung der Hindernisse seiner wissenschaftlichen Ausbildung, und wie eben so unersättlich als ehrwürdig ist der Durst nach höherer Erkenntniß, welcher die Edelsten durchdringt! Hoch über dem Bohrthurm kreiste ein Steinadler still und einsam, und knüpfte gleichsam des Menschen Trachten an den Himmel. Lange ruhete mein Blick auf dem Punkt im Aether, wo der Adler schwebte. Andacht kam in meine Seele, und ich sah hinan, wie der Gläubige einer Vorsehung aus den Weltstürmen zum Himmel sieht, und fand Trost und Kraft, zu überwinden. – – – Die Stimme meines ungeduldigen Führers störte mich aus meiner Betrachtung und gab mich der Erde zurück. Ich schaute umher; welche Herrlichkeit! Die ganze Kette des Hochgebirgs mit seinen Jöchern und Gräten, den hochanstrebenden Hörnern und Zacken – über alle das gewaltige Schreckhorn und das finstere Aarhorn – lag vor mir aufgedeckt. Ich hörte die dumpfen Töne fern-stürzender Lawinen, wie Rollen des Donners, und lauschte unheimlichem Geflüster und Knistern in der Tiefe, zuweilen aufgeschreckt vom Krachen berstender Eismassen oder zusammenbrechender Schneegewölbe fast unter meinen Füßen. Ueberall offenbarte sich das Walten verborgener Kräfte und unsichtbares Leben. – Nach langem Zaudern folgte ich dem mahnenden Führer zur Heimkehr. Wir nahmen einen andern Weg über einer Reihe grüner Alpenmatten, auf welchen jodelnde Hirten ihre Heerden weideten. Mehre Sennhütten lagen zerstreut am Pfade. Nach meiner Gewohnheit ging ich an keiner vorüber, ohne einzusprechen. In allen traf ich jene biedern, unverdorbenen Menschen, die rechten Angehörigen eines hochsinnigen Volks, welches so nahe dem Himmel zu wohnen verdient, und unter allem Wandel der Zeiten deutsche Art und Kraft, in Fleisch und Geist, treu und unversehrt bewahrt hat.“
„Eine andere und eine der schönsten Partien um Lauterbrunn wurde mein nächstes Wanderziel: – der Rosenlaui- Gletscher, der sich mit seinen ungeheuern, blauweißen Krystallen und Würfeln bis tief herunter in’s wilde Bergthal von Reichenbach herabzieht. Dicht am Fuße des Eisbergs liegen die Gebäude des Rosenlaui-Bads, ein zweites Gastein, nur noch romantisch-wilder als jener berühmte Kurort Tyrols.“
„In naturwissenschaftlicher Beziehung gehört das Lauterbrunnenthal und dessen Gegend zu den interessantesten in der ganzen Schweiz. Vorzüglich wird es von Geognosten häufig besucht. Welche mannichfaltige Aufgaben stellen aber auch diese Gebirge der Forschung! Die Formationen sind von dem verschiedensten Alter, und ihre aufeinandergethürmten oder gestürzten Massen sind entweder redende Zeugen von urplötzlichen Umwälzungen, oder jenes Neugestaltens, welches Millionen Jahre lang die arbeitenden Naturkräfte beschäftigt. Und wie inhaltsschwer sind diese Jahrbücher für den kundigen Beobachter, diese Felsen, an denen Aeonen gebildet
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/84&oldid=- (Version vom 30.12.2024)