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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

Die zweite Kugel der schon in ihrer Heimat auf den weiten Viehweiden ihres Vaters vorzüglich ausgebildeten Schützin zerschmetterte ihm den rechten Unterarm. Und als eine Stunde später Ernst Reiwitz, den Schweißhund an der Leine, die Vermißten auffand, saßen Alice Wellerslow und die Kinder eng aneinandergeschmiegt im Sande, während fünf Schritt von dieser Gruppe entfernt ein verwundeter Herero neben der Leiche eines zweiten auf der blutdurchtränkten Erde hockte.

So wurde aus dem „Wildfang mit dem goldenen Herzchen“ eine „Miß Unverzagt“, ein Ehrentitel, der ureigenste Erfindung des Oberleutnants von Otting war, worauf dieser nicht wenig stolz sein durfte, da bald niemand mehr die junge Dame bei ihrem eigentlichen Namen nannte. Sie war für alle „Miß Unverzagt“ und nahm es geradezu übel, wenn man sie anders anredete.

Und die Vorzüge dieser selben Miß Unverzagt wurden jetzt bei der Kaffeetafel in Reiwitztal mit begeistertem Eifer aufgezählt. Nur ein einziger beteiligte sich nicht an dieser Unterhaltung, die derart in einer uneingeschränkten Lobhymne auf die junge Amerikanerin ausklang.

Dieser eine war Oberleutnant Fritz von Otting. Nachdenklich schaute er vor sich hin, hörte kaum, was die anderen sprachen. Und niemand ahnte, welcher Art die Gedanken waren, die ihn so vollständig gegen die Außenwelt abschlossen.

Nach einer Weile erhob er sich unauffällig, durchschritt den Flur und trat durch die Hintertür wieder in den Gemüsegarten hinaus. Jetzt, wo er unbeobachtet war, eilte er schneller vorwärts, indem er dabei fortwährend scharf umherlugte, ob er die Gesuchte nicht irgendwo entdecken könnte. Aber von Miß Unverzagt war nirgends eine Spur zu erblicken.

Otting war am Ende des Gartens vor dem hohen Stacheldrahtzaun angelangt.

Er öffnete die ins Freie führende Lattenpforte und ging auf eine mit dichtem Gebüsch bestandene Hügelkette zu, die die äußersten Ausläufer des im Westen sich auftürmenden, wild zerklüfteten Gebirges bildete. Trotzdem die Sonne ihm mit sengender Glut auf den unbedeckten Scheitel brannte und der mühsame Weg durch den feinen, rötlichen Sand ihm dicke Schweißperlen auf die Stirn trieb, verfolgte er hartnäckig die einmal eingeschlagene Richtung. Seine umherspähenden Augen durchforschten immer wieder jede Lichtung zwischen den Gesträuchgruppen, suchten ebenso sorgfältig den Boden nach frischen Fußspuren ab. Und dann sah er plötzlich durch den grünen Vorhang zu seiner Rechten ein Kleid schimmern, das sich nach der Farm hin bewegte.

Blitzschnell duckte er sich hinter dem nahen, turmartigen Bau der Termiten-Ameise zusammen.

Minuten vergingen so. Kein auffälliges Geräusch ließ sich vernehmen. Nur der Wind rauschte in den Sträuchern, und aus dem Termitenhügel tönte es wie ein ununterbrochenes Summen hervor, verursacht durch die rastlos hin- und hereilenden Insekten.

Otting richtete sich langsam in die Höhe. Das helle Kleid war verschwunden.

„Heute komme ich hinter dein Geheimnis, Miß Unverzagt!“ murmelte er vor sich hin. Und dann seufzte er tief auf, als ob ihn eine schwere, schwere Last bedrückte.

Bald halte er Miß Unverzagts Fährte, die er sofort an den tiefen Eindrücken ihrer hohen Stiefelabsätze erkannte, gefunden. Bang klopfenden Herzens ging er den Spuren nach und entfernte sich so immer weiter von der Farm.

Und dann blieb er mit einem Male stehen, starrte unverwandt auf den Boden hin, der hier in dem kleinen, verborgenen Talkessel von den Hufen eines Pferdes und schweren, offenbar mit Sporen versehenen Männerschuhen aufgewühlt war. Und zwischen diesen plumpen Fährten sah er immer wieder die zierlichen Umrisse von Miß Unverzagts schmalen Stiefelchen, immer wieder.

Da seufzte Otting abermals schmerzlich auf. Und mit diesem Seufzer begrub er all seine stillen Herzenshoffnungen.

Als er nach etwa zehn Minuten das Wohngebäude von Reiwitztal wieder betrat, meldete Unia, die Herrschaften seien sämtlich nach dem Scheibenstande gegangen, um Miß Unverzagts neue Büchse zu probieren.

Bei seinem Erscheinen wurde er von allen Seiten mit lauten Zurufen begrüßt.

„Wo haben Sie denn eigentlich gesteckt?“

„Eine geschlagene halbe Stunde waren Sie fort!“

Otting machte einige nichtssagende Redensarten, vermied jedoch jede direkte Antwort.

Mitten unter den übrigen hatte Miß Unverzagt mit ihrem heitersten Lächeln gestanden. Unwillkürlich waren Ottings Augen auf ihrem Gesicht etwas länger haften geblieben. Die Blicke der beiden, die bisher eine herzliche, ungezwungene Kameradschaft verbunden hatte, trafen sich. Und da bemerkte er in ihren sonst so ehrlichen, reinen Kinderaugen eine deutliche Unsicherheit, etwas Forschendes, Lauerndes; und auch ihr Lauern sah jetzt seltsam gezwungen, fast verzerrt aus.

Sie nickte ihm nur flüchtig zu und sprach dann weiter auf Leutnant Röder ein, der ihre Büchse in der Hand hielt und besichtigte, sprach ganz ungewöhnlich laut, als ob sie die allgemeine Aufmerksamkeit schnell wieder von Ottings Person ablenken wollte.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.37). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)