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Freudenbotschaft bringen. Da lag eine große Helligkeit auf allen Gesichtern.

Ich bin müde und muß schließen. Ich bewundere die Pflegerinnen, daß sie Tag und Nacht aushalten. Ich gebe mich in der kurzen Zeit so sehr aus – seelisch, nicht körperlich, daß ich, nach Hause gekommen, zu nichts mehr fähig bin und nur schlafen, schlafen möchte.

Przemysl, den 6. Oktober 1914,
     am 17. Tag der Absperrung.

So müde war ich gestern, daß ich von 8 Uhr abends durchschlief bis heute früh um – 3/49 Uhr!! Wie wird Emil seinen kleinen Faulpelz auslachen, wenn er das hört! Ich erwachte durch einen so kolossalen Kanonendonner, daß die Fenster bebten. Ich meinte, das Artilleriefeuer setze von neuem ein und hätte mich aufgeweckt, aber unser getreuer Diener erläuterte mir: „O, das ist die ganze Nacht so gegangen!“ Es ist doch ein sehr gutes Ding um einen gesunden Schlaf.

Übrigens war ich vormittags nervös, wie noch gar nie, seit ich hier bin. Dieses Aufschrecken durch den Kanonendonner, der den ganzen Tag in gleicher Wucht weiterdröhnte, und dann das gespannte Warten auf Emil, der wieder nicht kam und auch niemand schickte.

Dazu sprachen mich zwei Artilleristen an, die von unseren Forts hereinkamen und erzählten, daß sie harte Arbeit draußen haben. Ich dachte mit Schrecken an die Cholerabaracken, die etwas südlich der Straße nach Lemberg liegen. Nachmittags sah ich auch schon vom Spital aus Schrapnells krepieren.

Wenn man zu anderen Zeiten eine einzige der Sorgen hätte, wie jetzt hundert auf uns lasten, würde man meinen, sie müsse einen zu Boden werfen. Und jetzt, wo es hundert sind, frißt eine die andere auf, und

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)