Volkslieder herausgegeben. Und nun teilt mir Prof. Tschinkel, der Leiter des Gottscheer Ausschusses mit, daß die mit Hilfe der Lehrer J. Pertz und W. Tschinkel ziemlich abgeschlossene Aufsammlung für das neue Unternehmen 800 Lieder enthalte. Ferner die 1891 erschienene Sammlung „Deutsche Volkslieder aus Böhmen“ bringt – abgesehen von den Vierzeilern und Kinderreimen – ein halbes Tausend Volkslieder, welche nach der ausdrücklichen Erklärung der Herausgeber „damals noch vom Volke gesungen wurden oder noch bis in die neueste Zeit bekannt waren“. Und wir haben für das neue Unternehmen ungefähr 10000 Lieder und einige tausend Melodien beisammen.
Und daß Volkslieder noch immer von neuem entstehen, beweist Pommer für die Steiermark und Jungbauer für den Böhmerwald; und zwar längere erzählende und geschichtliche Lieder. Denn Vierzeiler werden in den Alpen jeden Sonn- und Feiertag beim Tanzen, Trinken, Liebeln und Hänseln nur so aus den Ärmeln geschüttelt.
Und was bisher in Österreich noch nicht besteht, das soll bei dem neuen Unternehmen mit allem Eifer angestrebt werden: eine für alle Kronländer und Nationen Österreichs nach einheitlichen Grundsätzen mit größter Sorgfalt durchzuführende Ausgabe, die ein abgerundetes, möglichst erschöpfendes Gesamtbild von der Fülle der älteren und der noch lebenden Volksdichtung in Österreich wiedergeben soll. Die Vorgeschichte, die bisherigen Ergebnisse und die noch erforderlichen Aufgaben dieses neuen Unternehmens möchte ich jetzt vorführen.
Im Jahre 1902 hat die Wiener Musikverlags-Gesellschaft Universal-Edition den Plan gefaßt, eine Ausgabe von Volksliedern aus ganz Österreich in einzelnen Heften zu veröffentlichen, woraus dann ein Sammelwerk mit Liedern in den verschiedenen österreichischen Sprachen erwachsen sollte. Der damalige Minister für Kultus und Unterricht, Wilhelm Ritter von Hartel, hat in einem Erlaß die Behörden aufgefordert, namentlich die Schulleitungen, Musikanstalten und Vereine zum Sammeln von Liedern und Melodien zu veranlassen. Die ganze Sache aber kam nicht recht in Fluß. Beiträge liefen spärlich ein und blieben schließlich ganz aus. Pommer hat nun in seiner Zeitschrift gezeigt, wie unklar man sich über die Ziele war, und durch eine ausführliche Eingabe ans Ministerium diese Angelegenheit in den richtigen Weg geleitet. Daraufhin hat der Minister am 22. November 1904 mehrere Fachleute zu einer Sitzung nach Wien berufen, wo nach längeren Beratungen beschlossen wurde, eine auf wissenschaftlicher Grundlage beruhende mehrbändige Gesamtausgabe unter dem Titel „Das Volkslied in Österreich“ vorzubereiten. Ungarn blieb aus staatsrechtlichen Gründen beiseite. In dieser Sitzung wurde auch ein engerer Ausschuß gewählt, der nach Pommers Entwurf die Grundzüge für die Sammlung ausarbeitete. In der zweiten Sitzung des Hauptausschusses am 10. April 1905 wurden diese Grundzüge durchberaten, sowie die Arbeitsausschüsse und deren Vorsitzende für die einzelnen Kronländer und Nationen bestellt, und zwar in der Weise, daß für Böhmen ein deutscher und ein tschechischer Ausschuß, ebenso für Mähren und Schlesien zusammen, für die deutschen Alpenländer und für die Polen, Ruthenen, Kroaten, Slowenen, Rumänen, Italiener und Ladiner je ein Ausschuß gebildet wurde. Bis zum
Oskar Dähnhardt (Red.): Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde Nr. 8. Richard Hahn (H. Otto), Leipzig 1908, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mitteilungen_des_Verbandes_deutscher_Vereine_f%C3%BCr_Volkskunde_8.djvu/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)