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Seite:Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 8.djvu/8

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Arbeit von der Totalität des Volkslebens auszugehen habe und daß der Reformprozeß der Philologie von einer systematischen Ausschöpfung der noch im Volke fließenden Quellen geleitet und gefördert werden müsse.

So erwarten fast alle Gebiete humanistischer Wissenschaft von der Volkskunde Unterstützung und erhoffen durch sie Verjüngung in dem großen Gärungsprozesse unsrer Zeit. In klarer Erkenntnis dieser Tatsache haben außerdeutsche Völker der Volkskunde an ihren Universitäten eine Pflegstätte geschaffen.

Doch der erfrischende Einfluß der Volkskunde geht über das philologisch-historische Gebiet hinaus. Schon beleben Erzeugnisse der Volksdichtung, des Volksglaubens, der Volkskunst, Dialektproben unsre geographischen Hand- und Lehrbücher; Zoologen und Botaniker lassen das Volk erzählen, was es von unsern Pflanzen, von unsern Tieren weiß und wie es ihr Leben und ihre Namen in kindlich-naiver Weise auffaßt.

Selbst die Rechtswissenschaft hat begonnen, zur Volkskunde in die Lehre zu gehen, und die trefflichen Arbeiten von Post, Löwenstimm, Hellwig u. a. zeigen klar, wie fruchtbringend volkskundliche Forschung für die juristische Wissenschaft und Praxis werden kann. Und dasselbe hat die Medizin getan. Welche Rolle die Volksmedizin im Leben aller Völker und zu allen Zeiten gespielt hat, ist ja bekannt. Aber erst in neurer Zeit hat man sich daran gemacht, diesen Ausfluß der Volksphantasie von wissenschaftlich-medizinischem Standpunkte aus zu betrachten, und hier ist Prof. Magnus, neben dem fleißigen Höfler der beste Kenner der Volksmedizin, zu dem Ergebnis gekommen, das er am Schlusse seines letzten Werkes als die Frucht jahrelangen Forschens niederlegt: „Die Volksmedizin, sagt er, verdient unser Interesse, unsre Teilnahme, sogar unsre Unterstützung. Sie kann unter Bevormundung der Medizin und unter staatlicher Aufsicht ein hochgeschätzter, geradezu unentbehrlicher Teil des Krankendienstes werden.“

Zeigt sich in den eben berührten Gebieten der Einfluß volkskundlicher Forschung zunächst in den Werkstätten der Wissenschaft, so greift er bei der Kunst bereits in das öffentliche Leben. Gedanken- und Gefühllosigkeit hat in den verflossenen Jahrzehnten in Stadt und besonders auf dem Lande einen Baustil gezeitigt, bei dessen bloßem Anblick einem kalt wird: gerade, kahle Wände, die Mauern weiß von oben bis unten, ohne allem oder mit ganz verfehltem Schmuck. Der ganze Typus ist jenen Häuschen nachgebildet, die man als Schachtelbudenware für wenige Pfennige kaufen kann. Wie äußerlich, so sind die Häuser auch innen beschaffen: alles viereckig und schön regelmäßig, in der Ecke der moderne eiserne Ofen, kalt in seinem Stil wie der ganze Raum. Das sind Aufenthaltskasernen, aber keine Wohnstätten, in denen man behaglich nach des Tages Last und Mühen ausruhen und wo im Kreise der Familie das Gemüt zu seinem Rechte kommen kann. Wir haben gestern das hübsche Lied von der Ofenbank gehört; in solch öden Räumen ist dies sicher nicht entstanden. Dieser unerfreuliche, gemütlose Baustil hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß vielenorts das Gemütsleben unsres Volkes vertrocknet ist. Auch die Umgebung der Heimat, der Wald, der Weg am Flusse, auf dem Anger, wo man sich sonst an der Natur erfreute und das Herz in harmlosem Geplauder ausschüttete, ist vielfach den Forderungen unsrer modernen Industrie zum Opfer gefallen. So ist das Volksleben verödet. Gegen diese Verödung ist aus den volkskundlichen Bestrebungen heraus der Heimatsschutz entstanden, der die Pflege heimatlicher Natur, Kunst und