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Das Problem der Ostjuden


Vergangenheit – Zukunft.


Das Ostjudenproblem ist weder ein ausschließlich jüdisches, noch ein ausschließlich polnisch-russisches.

Wenn fünf bis sechs Millionen Menschen – vielleicht sind es auch mehr – eng zusammengepreßt in unerträglichen wirtschaftlichen und zum Teil auch politischen Verhältnissen sich befinden, so ist damit in dem kleinen Europa ein Krankheitsherd erzeugt, der zwar nicht von einer gefährlichen Bedeutung für den ganzen Weltteil ist, der aber für die unmittelbare Umgebung als gleichgiltig und bedeutungslos nicht bezeichnet werden kann. Unmittelbar angrenzend an die polnischen und an die russischen Gebiete, in denen Millionen von Juden leben, ist das Deutsche Reich, und so ist es nur naturnotwendig, daß die Experimente, die seinerzeit das Zarenreich unternommen hat, um die Judenfrage zu einer Lösung zu bringen, eine direkte Rückwirkung auf die westlichen Länder, damals auf Oesterreich-Ungarn und auch auf Deutschland, ausgeübt haben.

Politisch hat sich seitdem, also seit dem Weltkrieg, die Lage vollständig verschoben; aber das Ostjudenproblem in seinem Kernpunkt ist auch heute noch nicht gelöst. Die Tatsache ist bestehen geblieben, daß Millionen Juden auf einem verhältnismäßig sehr engem Raum zusammengepfercht sitzen mit allen jenen Folgewirkungen, die sich damit für die Juden selbst wirtschaftlich, intellektuell, moralisch ergeben und ergeben müssen; aber nicht nur für die Juden,

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Paul Nathan: Das Problem der Ostjuden. Philo Verlag und Buchhandlung GmbH, Berlin 1926, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Nathan-Das_Problem_der_Ostjuden_(1926).djvu/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)