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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

Schwester von Frau Ritter seine spätere Frau kennen. Trotz ihrer damaligen fünfzehn Jahre verlobte er sich mit ihr, vorerst noch heimlich, da er selbst einige Jahre auf eine definitive Anstellung zu warten hatte.

Nach dreijähriger praktischer Tätigkeit nahm er einen längeren Urlaub zu einer Reise nach Norddeutschland, vor Allem aber nach Italien, mit der bestimmten Absicht, «seine Aufnahmen in einem dritten Bande zu Mollers Werk über Gothische Baukunst herauszugeben». Die Reise führte ihn 1837 über Hannover nach Berlin, wo ihm die Empfehlungen Mollers die Häuser vieler bedeutender Männer öffnete. Er lernte Schinkel kennen und aufs Höchste verehren, er kam öfters zu Rauch ins Atelier, verkehrte mit Hegel und konnte bei Langhans an dessen Plänen für das Palais des Prinzen Wilhelm mitarbeiten. Über Dresden, wo er Prof. Semper kennen lernte, führte ihn der Weg wieder zurück nach Mainz zu kurzem Wiedersehen mit seiner Verlobten und nach Darmstadt zu seiner Mutter, die beim Abschied für Italien ihre Tränen verbarg in der bangen Ahnung, dass sie ihren geliebten Sohn nicht mehr werde zurückkehren sehen.

In Begleitung seines Freundes Mithoff wurde die italienische Reise angetreten, Mailand kurz besucht, und der erste längere Aufenthalt in Florenz genommen. Hier trafen die beiden Freunde mit Gervinus und dessen junger Frau zusammen, mit welchen sie höchst anregende Abende verlebten. Nach eingehenden Studien in Pisa und Orvieto wurde endlich in Rom für lange Zeit Station gemacht. Hier erreichte ihn seine Ernennung zum Kreisbaumeister, womit die Veröffentlichung seiner Verlobung verknüpft war, – aber auch zu gleicher Zeit die tiefschmerzliche Nachricht vom Tode seiner geliebten Mutter.

Der Urlaub begann zu Ende zu gehen. Neapel und Paestum wurden rasch besucht, um vor allem die Reise rings um Sicilien herum noch in Ruhe machen zu können. Ein höchst ergötzliches Tagebuch existirt hierüber mit viel Humor in Text und Bildern. In origineller Weise umritten sie auf Maultieren die ganze Insel in 30 Tagen unter Führung des braven Giovanni und des Dieners Giuseppe, die für alles zu sorgen hatten und meistens selber auch kochten. Es waren noch billige Zeiten, denn der Akkord mit dem Führer war so gemacht, dass sie für alle Bagage, Cafe, Frühstück und Pranzo, Nachtlager, sowie für drei Maultiere nur 4 Piaster 3 Tarini, d. h. etwas mehr wie einen Napoleon bezahlten! Das ungewohnte Reiten brachte anfangs mancherlei Beschwerden mit sich, und dass der Diener abwechselnd hinter den einzelnen aufsitzen musste, war auch nicht gerade angenehm, doch gewöhnten sie sich bald an alles, und Gladbach verzeichnete mit Vergnügen verschiedentliches Steckenbleiben in Sümpfen und frugale Mahlzeiten unter freiem Himmel. Der Führer, der anfangs etwas mürrisch gewesen und über die unberufene Jugend klagte, die Bärte trüge, taute zusehends auf und erwies sich als

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)