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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

Die sichtbaren Spuren heidnischer Kulte sind bei den Völkern Europas seit langer Zeit fast vollkommen verschwunden.

Sie sind in die Museen gewandert und nur mehr lebendig in den Gebieten archäologischer Forschungen.

Wie unwahrscheinlich, ja grotesk würde es klingen, bekäme man zu hören, daß irgendwo 150—200 Kilometer von Berlin die Deutschen, sagen wir, dem Gotte Tor heute noch Opfer bringen oder daß in Frankreich zur Nachtzeit bei Verdun oder Marne für die Gefallenen geheimnisvolle Andachten abgehalten werden.

So etwas ist mit Ausschluß Rußlands wohl in ganz Europa nicht mehr möglich.

Rußland allein, dieses Land aller Möglichkeiten, ist noch tief dem Götzenkulte verfallen, der neben der orthodoxen Kirche und der Aufklärung des zwanzigsten Jahrhunderts noch ganz fest zu bestehen vermag.

Ich sehe ganz von den in Rußland lebenden mongolischen und finnischen Völkerschaften ab, wie Kalmücken, Mordonen, Schumaten, Woziaten oder Ostjaken, bei denen unter dem Einflüsse gewisser ethnographischer und historischer Ursachen Religionskulte geblieben sind, die mehr oder weniger dem prähistorischen Heidentum ähneln.

Nein, ich spreche hier lediglich über das russische Volk, das ein Fenster nach Europa besessen hat, ein Petersburg, ein Christentum, Gelehrte und Dichter und schließlich eine Polizei, die neben den Rechten der Dynastie auch Kirche und Kultur verteidigte.

Ich könnte eine ganze Reihe von Beispielen angeben, die beweisen, wie sehr die heidnische Psychologie und die götzenartigen Sitten und Gebräuche in dem russischen Volke lebendig geblieben sind.

Ich begnüge mich aber mit dem Bericht eigener Erlebnisse, die

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/61&oldid=- (Version vom 15.9.2022)