Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens | |
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Die Anhänger des alten Glaubens wurden noch vorsichtiger in ihren Beziehungen zu Andersgläubigen. In den Glaubensgemeinden erstarkten die Leute in ihrer Moral und Disziplin. Die berühmtesten Priester und Bischöfe der verschiedenen Sekten wurden von den Grenzen des Landes wieder zum Schutze gegen den moralisch vergiftenden Einfluß der Sowjets zurückgerufen. Die Altgläubigen haben gegen Zahlung hoher Steuern ihre Jugend aus der roten Armee ausgelöst. Die Kirchen und Betstuben waren von Andächtigen, welche die Ankunft des Teufels erwarteten, dessen Diener eine so fürchterliche Saat des Verderbens und Elends ausgestreut, überfüllt.
Die Sekte der Chlysten zählte 100.000 Anhänger, da ihre Andachten bis zu einem gewissen Grade das Vergessen, die Befreiung von dem zur Unerträglichkeit gewordenen Alltag mit sich brachte und dabei einen physischen Anteil an der Vertreibung des Teufels hatte, dessen schwere Schritte die Menschen zu hören vermeinten.
Es haben sich die Chlysten nicht mehr mit Weiden- und Grasruten geschlagen, sie geißelten sich nun mit zusammengewickelten Eisendrähten oder mit rotglühenden, eisernen Stäben.
„Noch mehr der Qual, noch mehr der Tortur am eigenen Leibe, noch mehr Blut!“ riefen die Priester dieser Sekte. „Denn so wird der Kampf mit dem Teufel erfolgreicher, so wird er vielleicht Sieg. So wird vielleicht wieder Glück und Frieden auf dieser Erde, die jetzt mit Blut getränkt und mit Sünde besudelt ist.“
Die bolschewistischen Zeitungen haben am Anfang des Jahres 1920 einen Chlystenpriester ausgelacht, der an die Sowjetregierung folgenden Brief geschrieben:
„Seht Ihr den Teufel nicht? Er geht herum in den Flammen der Feuersbrunst, die sein Gesicht und seine Hände glutrot färben. Er schreitet in blutigem Mantel einher, sein Haupt reicht zu den schwarzen hochfliegenden Wolken, die, mit Donner und Blut gefüllt, am Himmel treiben. Seine schweren eisernen Tritte pressen aus der Erde Menschenblut hervor, zerstören die Städte, zerstampfen die Unschuldigen und drohen der Menschheit mit Vernichtung! Seht Ihr denn nicht, hört Ihr denn nicht, wie seine schweren Schritte weithin erschallen? Helfet dem Volke, helfet dem Lande, helfet uns allen, solange es noch Zeit ist!“
Die Sektierer und die Nicht-Sektierer, sie sahen den Teufel überall auf der russischen Erde.
Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/87&oldid=- (Version vom 15.9.2022)