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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

behaupten, ihn gesehen zu haben. Ist es der Satan, ist es ein Teufel oder Beelzebub?

„Nein!“ verneinen die orthodoxen Kreise, „das wird er nicht sein, das ist erst sein Vorläufer, der Antichrist.“

Diese Frage wurde bei den Zusammenkünften des Klerus in Nowgorod, in Moskau, in Jaroslau, in Kiew und in Omsk lange und ganz ernstlich erörtert und diskutiert.

Sie wurde zum Anlaß einer Bewegung, welche von den Bischöfen Jewdokim, Sylvester und dem Metropoliten Makar ins Leben gerufen worden war und mit dem leidenschaftlichen Studium der Revelationen des heiligen Apostels Johannes, der Apokalypse, begann. Die feurigen, nebelhaften, mystischen Worte der Apokalypse haben Anlaß zu Prophezeiungen und Voraussagungen gegeben.

Die unklaren Bilder und Zahlen haben die Neugier und den Drang, das Geheimnisvolle zu lüften, wachgerufen. Und keiner wollte wissen, daß der bekannte russische Gelehrte N. A. Morozow der Ansicht war und dieselbe kundgab, daß der Apostel Johannes die durch ihn nur sehr selten gesehenen astronomischen Erscheinungen beschrieben hatte und sie in eine poetische, geheimnisvolle, mystisch hellseherische Form gebracht hat. Ich habe manche, sehr gelehrte Professoren gekannt, die stundenlang im verwirrten Text der Apokalypse geblättert haben, welche sie vor der bolschewistischen Regierung kaum dem Namen nach kannten.

Eine ungeheuere Literatur mit Kommentaren über die Apokalypse ist entstanden und hat praktische Folgerungen gezogen, um die nebelhafte Undeutlichkeit der Prophezeiungen zu erklären. Es gibt kaum einen Erdenwinkel in Rußland, wo diese mystische Literatur nicht eingedrungen wäre. Kein Mittel gab es, um zum Verstände dieser Verblendeten zu sprechen, die das zu glauben wünschten, was sie seit langem so heiß ersehnt haben. Als man zeigen wollte, daß alle Zeitpunkte, die der Apostel Johannes vorausgesagt, schon längst vorbei waren und sich doch nichts in Rußland verändert hätte, daß der vorausgesehene russische Herrscher mit dem Namen „Michael“ nicht Zar in Rußland sein könne, da der Großfürst dieses Namens „Michael Alexandrowitsch“ in Perm durch die Bolschewiken ermordet worden, als man über das apokalyptische Ungeheuer lachte und über die Reiter auf weißen, schwarzen und roten Pferden, in denen die Leute England, Frankreich, Japan oder auch Denikin, Wrangl und Koltschak

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/90&oldid=- (Version vom 15.9.2022)