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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

als das Opfer des Mannes. Das Leben trägt die Frauen und Mütter aus den bürgerlichen Kreisen in seinem bodenlos rasenden Strudel dem Abgrunde zu.

Leo Tolstoi wiederum zeigt uns das bäuerliche Weib und die halbheidnische Frau, die vom Mystizismus der ihr unverständlichen Naturerscheinungen wie verzaubert ist.

Ist es verwunderlich, daß solche Zustände die russische Frau in die blutigen Feuerarme der Revolution, in die Raserei des Bolschewismus, in die in ihrer Grausamkeit widerwärtige Rachsucht trieben?

Vielleicht war es auch ihre Lebensstellung, welche die russische Frau im allgemeinen zu einem gedankenlosen, dem Manne ergebenen Geschöpfe gemacht, das der Gefühle nicht fähig war und nur den Sensationen nachjagte, um darin das Vergessen zu finden.

Der Heroismus, der Mut, der Edelsinn der russischen Frau sind ein instinktiver Protest gegen ihren Sklavenzustand, das rechtlose Gesellschafts- und Staatsleben.

Jetzt, wo sie während der Sowjetregierung die Rechte eines Menschen und Bürgers erhalten hat, ist sie aus dem Rahmen ihres Familienlebens gerissen, mitsamt dem Manne zu schwerer Arbeit gezwungen in den Strudel hineingeworfen, in welchem die Männer die Achtung vor dem Weibe immer mehr verlieren und sie allmählich zu einer sozialisierten Frau werden lassen.

Das Dekret über die Sozialisierung des Weibes, das die Sowjetregierung nicht veröffentlichte, ist von selbst ins Leben, das die Sowjets geschaffen haben, getreten. Die Frau, der Familie, der moralischen Obhut des Vaters, Mannes oder Bruders beraubt, ist gezwungen, ihre Kinder, da sie keine Mittel und Zeit hat, sie selbst zu erziehen, in die Kindererziehungsanstalt der III. Internationale zu geben, wird allmählich über die veraltete Lehre der Moral enttäuscht, verliert auch die Achtung vor der Frauenwürde, unterwirft sich den Vorschriften des unveröffentlichten Dekrets, dessen Bestehen die ganze Welt empörte und in Aufruhr versetzte. Die Welt weiß aber nicht, daß dieses Dekret in der vollsten Genauigkeit praktisch in das russische Leben eingeführt war.

Auf dem Lande wiederum sehen wir ein fürchterliches Benehmen der betrunkenen oder halbwilden Männer ihren Frauen gegenüber, wobei die abscheulichsten Schimpfworte, Schlägereien, die manchmal tödlich

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/98&oldid=- (Version vom 15.9.2022)