Schwarzbraunes Mädchen, schönes Jungfer Lieschen.
Darf ich einmal zu dir kommen, wenn ich kann und wenn ich will?
„Vor meine Haustür darfst du wohl kommen.
Aber, aber weiter darfst du nicht.“
Bei der nächsten Frage erlaubt sie ihm bis zur Kammertür zu kommen. Dann darf er bis ans Bett kommen – „Aber, aber weiter darfst du nicht!“ Nachher darf er auch ins Bett – und an ihren Busen –: „Aber, aber weiter darfst du nicht!“ So wird ihr Widerstehn lächerlich gemacht.
Außer diesen größeren, durch ganz Deutschland verbreiteten Liedern gibt’s noch unzählige kleine Reime, und zwar meist Tanzreime. Alle sind voll Humor und Zeugungskraft. Und viele bringen durchaus den Volkscharakter der Gegend, aus der sie stammen.
Eine ähnliche frische Tonart haben die zahllosen Scherzreime, Bauernregeln, Fabrikschnurren und Vierzeiler. – Solche spaßigen und kernigen Lieder sollten nicht unterdrückt werden. Denn sie sind wahrhaftiger als das schale modische Versgeklapper der Gassenhauer, – und sie sind ein Bestandteil der Lebensfreude unseres Volkes. Sie gleichen dem, was der Vogel seinem Weibchen singt, ehe sie das Nest voller Junge haben. Singt aber das Volk nicht mehr von der Liebe, so wie es eben die Liebe versteht – derb, zeugungskräftig, sinnenfroh –,
Hans Ostwald (Hrsg.): Erotische Volkslieder aus Deutschland. Eberhard Frowein, Berlin [1910], Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ostwald_Erotische_Volkslieder_aus_Deutschland.djvu/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)