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Sogar selbst literarisch tätig ist H. in griechischer Sprache gewesen; hat er doch in ihr, wie uns der Titel besagt, seine Memoiren geschrieben. Er hat also die griechische Sprache vollkommen beherrscht. Die literarische Tätigkeit am Hofe des Königs kann man sich nun ohne eine ansehnliche griechische Hofbibliothek kaum vorstellen, und so wird man denn auch die Schaffung einer solchen den königlichen Bemühungen zur Förderung der hellenistischen Kultur bei den Juden anreihen dürfen.

Sehr bezeichnend für die Gesinnungsweise des Königs ist auch die Berufung von Nichtjuden zu Erziehungsgouverneuren der Mariammesöhne (s. S. 90), die doch wohl in das erste Jahrzehnt der Regierung zu setzen ist; sie ist einer der allerdings wenigen Belege, daß H.s Neigungen von ihm schon früh nach außen hervorgekehrt worden sind. Aber dies ist ihm noch nicht genügend erschienen, und so hat er die Prinzen, ebenso wie später [RE:106] seine Söhne Archelaos, Antipas und Philippos, zur Vollendung ihrer Erziehung nach Rom gesandt (bell. Iud. I 435. 445. 602. 623; ant. Iud. XV 342f. XVII 20f. 80), also an einen Ort, wo sie selbstverständlich nur ihre hellenistische Bildung vervollkommnen konnten (s. auch ant. Iud. XVII 107).

Die antijüdische Gesinnung des Königs ist schließlich dem ganzen jüdischen Volke besonders eindringlich und immer wieder zu Bewußtsein gebracht worden durch die von ihm ausgegebenen Münzen. Denn auf diesen hat er die unter den Hasmonäern neben der griechischen üblich gewesene hebräische Münzinschrift aufgegeben und nur die griechische beibehalten. Dagegen werden wohl die von H. neugewählten Münzembleme, wie die makedonische καυσία und der makedonische Schild (s. Madden Coins of the Jews 109), kaum auf die große Masse des Volkes einen Eindruck nach irgend einer Richtung gemacht haben; an und für sich sollten sie allerdings auch die hellenistischen Neigungen des Königs nach außen dokumentieren, sollten auch ihn als einen Nachfolger des großen Alexander und der makedonischen Könige erscheinen lassen (übertrieben ist es dagegen, wenn von Cavedoni Bibl. numism. II 28 bis auf A. J. Reinach Bull. hell. XXXIV 458,2 immer wieder behauptet wird, durch die Münzen habe H. makedonische Abstammung für sich prätendiert; hiergegen schon de Saulcy Rev. numism. 1857, 291).

Die griechische Aufschrift der Münzen wird man, zumal wenn man sie mit den vielen uns überlieferten griechischen Beamten- und Hoftiteln[1] zusammenhält, [110] wohl als ein Anzeichen dafür fassen können, daß im Reiche des H. nicht nur im Heer (s. S. 59 **), sondern auch sonst die griechische Sprache offiziell Anwendung gefunden hat. In welchem Umfange dies geschehen ist, das vermögen wir leider nicht näher festzustellen; ein Fall, der besonders bezeichnend ist, sei aber hier wenigstens hervorgehoben: die wichtige Verhandlung gegen Antipatros vor dem Staatsrat des Königs (s. S. 146) ist in griechischer Sprache geführt [RE:107] worden (dies ergibt sich aus dem Auftreten des Nikolaos von Damaskos als Ankläger und daraus, daß Varus ihr ohne weiteres folgen kann).

Sollte übrigens H., was jedoch nicht ganz sicher ist, anstatt des alten primitiven jüdischen Mondjahres das julianische Sonnenjahr eingeführt haben, wobei er den umgestalteten tyrischen Kalender zugrunde gelegt haben würde, so hätte man auch hierin eine Handlung zu sehen, die das Volk immer wieder auf die Beseitigung des Alten und die Einführung der Bräuche der umgebenden hellenistischen Welt hingewiesen hätte (für die jüdische Kalenderänderung tritt nach dem Vorgang von Nieses Herm. XXIII 197ff. Schwartz Christl. u. jüdisch. Ostertafeln, Abh. Gött. Gesellsch. Phil. hist. Kl. N. F. VIII 6, 141ff. ein; gegen sie Schürer I³ 756ff. und Ginzel Handb. d. mathem. u. technisch. Chronol. II 68ff.). Das vollständige Schweigen der die Kalendaria behandelnden jüdischen Überlieferung über diese Kalenderänderung würde uns die heftige Verstimmung, die sie in jüdischen Kreisen hervorgerufen hätte, deutlich zeigen (Schwartz Nachr. Gött. Gesellsch. Phil.-hist Kl. 1906, 345, 2 folgert das Nichtvorhandensein einer Opposition zu Unrecht aus dem Schweigen des Neuen Testaments; s. auch Schwartz Ztschr. f. neutest. Wissensch. VII 7).

Diese Hinneigung und Förderung des Hellenismus durch den König, bei der er ständig gegen das jüdische Herkommen verstoßen hat, ist ein weiterer Grund für den unüberbrückbaren Abgrund, der zwischen ihm und seinem Volke klaffte; denn wenn sich auch dieses, zumal in seinen höheren Schichten, der hellenistischen Kultur nicht hatte entziehen können, von ihr durchaus nicht unbeeinflußt geblieben war (die beste Materialsammlung für diese Frage, die sich aber noch vermehren ließe und die die Entwicklung nicht genügend berücksichtigt, bei Schürer II⁴ 57ff.), so bestand doch wenigstens bei den palästinischen Juden der herodianischen Zeit in ihrer großen Masse auch nicht das geringste Verlangen nach ihr, sondern man stand ihr infolge des herrschenden pharisäischen Einflusses sogar direkt abgeneigt gegenüber. Diese Abneigung mußte sich selbstverständlich gegen ihren königlichen Vertreter wenden, und zwar um so stärker, als die Organisation, die dieser dem jüdischen Staate gegeben hatte,


  1. S. die S. 62ff. genannten Beamten. Es sei hier auch auf die von den Mariammesöhnen als Typus des kleinen Beamten erwähnten κωμογραμματεῖς (bell. Iud. I 479; ant. Iud. XVI 203) hingewiesen, sowie darauf, daß in der rabbinischen Literatur als Lehnwörter Beamtentitel wie: στρατηγός, ἐπιμελητής, λογιστής, οἰκονόμος begegnen (s. S. Krauss Griech. u. lat. Lehnwört. II 40. 83. 106. 308. 459), d. h. gerade in den hellenistischen Reichen übliche Beamtentitel. Zu welcher Zeit diese Titel Aufnahme als Lehnworte gefunden haben, ist leider nicht festzustellen; geschehen ist es aber, weil im jüdischen Gebiete die betreffenden Beamten im heimischen aramäischen Idiom nicht nur mit einem entsprechenden aramäischen WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt Begriff, sondern auch mit dem aus dem Griechischen übernommenen Titel bezeichnet worden sind. Wir brauchen hiernach also nicht anzunehmen, daß die von Josephus erwähnten griechischen Beamtentitel nur mehr oder weniger sinngemäße Übertragungen einheimischer Bezeichnungen darstellen, sondern dürfen damit rechnen, daß sie ebenso wie die Offiziertitel (s. S. 59 **) im allgemeinen zu H.s Zeit wirklich geführt worden sind.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/075&oldid=- (Version vom 4.11.2022)