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Seite:Otto Herodes.djvu/099

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schwer zu regierende Land in seltener Weise geeignete Kraft erkannt hätte. Die stete Erweiterung des Reiches (besonders charakteristisch ist die Unterstellung des Räuberstaats der Trachonitis), sowie später seine Nichtabsetzung trotz schärfster kaiserlicher Ungnade und die Wiederaussöhnung mit Augustus sind gleichfalls nur unter diesem Gesichtspunkt verständlich.

Schließlich müssen wir bei unserem Urteil über den Regenten H. auch noch in Betracht ziehen, daß dieser, abgesehen von der allgemeinen Fürsorge für sein Volk sich auch durch eine große Reihe einzelner Handlungen aufrichtig Mühe gegeben hat, seine Untertanen für sich zu gewinnen. Wenn ihm das nicht gelungen ist, so ist dies zu einem Teil abhängig [RE:153] von Dingen, deren Abstellung dem König nicht möglich war, von seiner idumäischen Abstammung – auch hier hat er übrigens durch das Vorgeben jüdischer Herkunft die Abstellung wenigstens versucht – und von seiner äußeren Politik, dem engen Anschluß an Rom (s. S. 128 und u. S. 161f.). Dann aber vor allem von dem Hauptstück seiner inneren Politik, seiner Stellung zum Hellenismus und den hierdurch bedingten Verschmelzungsbestrebungen, dem Versuche, auch das jüdische Volk der Weltkultur einzugliedern.

In dem Staate der Hasmonäer hatten sich zwar schließlich auch allerlei hellenistische Elemente und Institutionen eingenistet[1]. Aber erst unter H. und durch sein Regierungssystem ist das jüdische Gemeinwesen ein Staat geworden, der sich in seinem ganzen Aufbau kaum von den anderen hellenistischen Reichen unterschieden hat, der auch vor allem den Charakter als Gottesstaat, der unter den Hasmonäern durch die Vereinigung der höchsten weltlichen und geistigen Macht in der Person des Königs wenigstens noch scheinbar festgehalten worden war, d. h. gerade das spezifisch Jüdische ganz verloren hatte (charakteristisch für die jüdische Stimmung erscheint mir die wohl dem jüdischen Anonymus zuzuteilende Ausführung in ant. Iud. XV 403f., wo die Hasmonäer als βασιλεῖς καὶ ἀρχιερεῖς dem βασιλεύς H. gegenübergestellt werden). Aber nun ist ja nicht nur in der Gestaltung des Staates der Hellenismus von H. propagiert worden, sondern ebensosehr durch den ganzen Charakter seines Hofes, durch seine Bauten und durch die Forderung echt hellenistischer und dem Judentum verhaßter Sitten und Einrichtungen, überhaupt durch sein ganzes Auftreten. Und dies nicht nur im eigenen Reiche, sondern darüber hinaus in dessen näherer Umgebung und auch in weiter Ferne. Dem Volke ist übrigens auch dieses starke Eintreten für die hellenistische Kultur außerhalb der Reichsgrenzen sehr wohl zu Bewußtsein gekommen, wenn auch H. versucht hat, gerade dies in einem für ihn möglichst günstigen Lichte erscheinen zu lassen, [158] indem er sich mit Zwang durch den römischen Oberherren entschuldigte (ant. Iud. XV 329f.).

Immerhin zeigt uns diese Entschuldigung schon deutlich, und dieser Eindruck wird auch durch sein sonstiges Verhalten bestätigt, daß der König Zwang nicht anwenden wollte, um sein Volk für den Hellenismus zu gewinnen, sondern daß er es durch seine propagandistischen Maßnahmen ganz allmählich zu bekehren oder zum mindesten ein kulturell einigermaßen tolerantes Judentum zu erziehen hoffte. Es mag ihm wohl als warnendes Beispiel Antiochos’ Epiphanes gewaltsames Vorgehen gegen die Juden vor Augen geschwebt haben. Er hat denn auch anders als dieser den jüdischen Kultus, das jüdische Gesetz nicht aufzuheben gewagt. Selbstverständlich nicht aus innerer Anhänglichkeit am jüdischen Glauben, da sich sonst seine Gesetzesverletzungen außerhalb des eigentlichen jüdischen Gebietes [RE:154] nicht erklären ließen, sondern aus der richtigen Erkenntnis, dass das Judentum als eigenes Gebilde sich nicht mehr beseitigen ließ. Die Gleichstellung von Juden und Ἕλληνες in der πολιτεία von Kaisareia erscheint mir insofern direkt als Symbol für die Absichten des Königs.

Man darf aber die Hellenisierungsbestrebungen nicht allein auf H.s Vorliebe für den Hellenismus zurückführen, sondern ebenso wie einst bei Antiochos Epiphanes sind auch für das Vorgehen des jüdischen Königs Gründe der hohen Politik mitbestimmend gewesen. So mag ihm einmal das absolute, rein weltliche Königtum des Hellenismus als das sicherste Mittel zur Festigung seiner Herrscherstellung erschienen sein. Ferner muß es auch seiner ganzen Natur unerträglich gewesen sein, daß er der Herrscher eines weithin verachteten Volkes war, und er mochte hoffen, daß die allgemeine Stellung der Juden, wenn sie erst hellenisiert wären, sich heben würde. Seine riesigen Spenden ans Ausland zeigten jedenfalls schon inzwischen der Welt, daß auch ein Jude seine ablehnende Exklusivität aufgeben und sich ihr einfügen konnte. War dann der jüdische Staat nicht mehr ein kultureller Fremdkörper im Römerreiche, dann schien auch die Hoffnung viel größer zu sein, daß sein Reich und seine Dynastie dauernd Bestand hätten. Die äußere, auf den Anschluß an Rom gerichtete Politik hat also auch auf die innere eingewirkt (s. auch Ramsay Was Christ born at Bethlehem? 174).

Die Hellenisierungstendenz als ein Grundpfeiler der inneren Politik wird man als von Anfang an vorhanden annehmen dürfen. Auf staatlichem Gebiet tritt sie uns jedenfalls seit den ersten Herrschaftsjahren deutlich entgegen (s. z. B. das Verschwinden der hebräischen Münzaufschrift); s. im übrigen S. 106ff. Aber der jüdische Anonymus (ant. Iud. XV 267) wird Recht haben, wenn er erst von der zweiten Periode der Herrschaft an, als H. diese für gesichert ansah, ein stärker nach außen in Erscheinung tretendes Übertreten der jüdischen Sitten, d. h. eben ein besonders starkes Betonen der Verschmelzungsbestrebungen einsetzen läßt. H. hat nun auch ganz richtig erkannt, daß er besonderer Helfer bedürfe, wenn er sein großes Werk zum glücklichen Ziele führen wollte. So darf man wohl sein Eintreten für die Juden in der Diaspora, abgesehen von dem hiervon erhofften guten Eindruck


  1. S. meinen Art. Hasmonäer in Pauly-Wissowas Realencykl. Bd. VII S. 2496f. Das dort Genannte läßt sich noch vermehren; so findet sich Hellenistisches z. B. auch bei den Beamten, in den Titeln, in den Ehrenauszeichnungen, im Namen des jüdischen ‚Senats‘ usw., doch kann ich hier natürlich nicht nebenbei diese bisher noch kaum in Angriff genommene Frage erledigen.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/099&oldid=- (Version vom 1.8.2018)