Seite:Otto Herodes.djvu/098

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hellenistischen Zeit skrupellos gehuldigt hat, steht auf einer Stufe mit den mancherlei Grausamkeiten, die er sich gegen seine Untertanen hat zuschulden kommen lassen (s. S. 97f.) und bei denen er doch sehr viel unschuldiges Blut vergossen hat. Ohne bewußte Härte wäre der König allerdings nicht durchgekommen; der Haß seines Volkes hat ihn dazu gezwungen. Er mußte, wie die Verhältnisse nun einmal lagen, durch unerbittliche Strenge im Volke Furcht vor seiner Person und seiner rücksichtslosen Tatkraft erwecken, [RE:151] um schon hierdurch jeden Gedanken an Auflehnung gegen sein Regiment zu unterdrücken (s. hierzu auch das Urteil in der assumptio Mosis c. 6); er mußte die Machtmittel des Staates, die hinter ihm standen, wenn nötig, erbarmungslos handhaben.

Er hat denn auch sehr viel getan, um diese Machtmittel zu stärken. Denn die für die Verhältnisse des jüdischen Staates große Militärmacht, die ihm an stehenden Truppen und angesiedelten Soldaten zur Verfügung gestanden hat, dürfte ebenso wie die Flotte seine ureigenste Schöpfung sein; der niedergehende Staat der Hasmonäer erweckt nicht den Eindruck, als ob er über nur irgendwie bedeutende militärische Kräfte verfügt habe. Der Gedanke an die Sicherung der Herrschaft im eigenen Lande hat jedoch nicht allein zu der Fürsorge für das Heer geführt. H. ist eben nicht der Typus des blutdürstigen Tyrannen, der alle seine Regierungsmaßnahmen nur auf sein eigenes Wohl zuschneidet, nur herrschsüchtig ist, sondern er ist sich vielmehr, wenn man von den ihm von seiner harten Grausamkeit diktierten Maßnahmen absieht, stets seiner Herrscherpflichten voll bewußt gewesen. Er, der absolute Herrscher, war ein wahrhaft großer innerer König (s. hierzu auch das Urteil von Mommsen R. G. V 507). So hat er durch den Ausbau des Heeres seinem Lande einen fast dreißigjährigen Frieden und alle dessen Segnungen verschafft; seine militärische Begabung ist ihm hierbei natürlich sehr zu statten gekommen. Auch zur inneren Kolonisation ist das Heer von ihm verwendet worden; es hat ihm dazu gedient, Zivilisation und Kultur weiter zu verbreiten.

Sein Reich und dessen natürliche Hilfsquellen zu heben hat er sich auch sonst auf jede Weise angelegen sein lassen, was um so leichter möglich war, als die für das wirtschaftliche Gedeihen des Landes unbedingt nötige Voraussetzung, die volle Sicherheit im Innern, in weitestem Umfange gewährleistet war. Das Volk wurde energisch zur Wirtschaftlichkeit angehalten. Landwirtschaft und Handel sind in gleicher Weise gefördert, und der Seehandel dem jüdischen Reiche, dem der König seine Küste wiedergewonnen hatte, überhaupt erst ermöglicht worden. Auch seine Städtebauten haben zum großen Teil dem Zweck der wirtschaftlichen Hebung des Landes gedient (Kuhn Städt. u. bürg. Verfass. d. röm. Reiches II 347 urteilt hier nicht richtig), und H. hat gerade bei seinen Städtegründungen seinen die Verhältnisse richtig abschätzenden Blick aufs glänzendste bewährt; die Anlage von Kaisareia und seines Hafens hat dem Osten des Mittelmeers für Jahrhunderte ein neues großes Handelsemporium geschenkt. [156]

H.s vortreffliches Organisations- und Verwaltungstalent tritt uns immer wieder entgegen; am handgreiflichsten allerdings wohl bei seiner großen Hilfsaktion für sein unter Seuchen und Hungersnot leidendes Land, aber auch sonst. So waren die Finanzen des Staates unter ihm stets in bester Verfassung. Ihre Organisation muß vortrefflich gewesen sein; nur so werden die vielen Werke verständlich, welche der kleine Staat des H. geschaffen hat, ohne das Volk durch den Steuerdruck aufzureiben. Außer für die Rechtsicherheit hat H. auch für die Rechtspflege manches Heilsame geleistet, wenn auch hier seine willkürliche [RE:152] Kabinettsjustiz einen bösen Flecken in seiner Verwaltung bedeutet. Dagegen darf man die mancherlei Übertretungen, die bei den Steuereintreibungen vorgekommen sein sollen, nicht ohne weiteres als Anzeichen einer nicht wohlgeordneten Verwaltung deuten; dann müßte man diese wohl jedem Staate des Altertums absprechen. Auch die Klagen der Gadarener gegen das Regiment des Königs, die einzigen, die zu seinen Lebzeiten erhoben worden sind, wird man, zumal da sie von Agrippa und Augustus schroff abgewiesen wurden, doch wohl nur als Ausfluß des Gegensatzes zwischen dem absoluten Staat und der Selbstverwaltung, die durch jenen unterdrückt wurde, fassen und nicht gegen H. verwerten dürfen. Denn wir besitzen einen meines Erachtens unumstößlichen Beweis für die Tüchtigkeit der herodeischen Verwaltung als Ganzes: selbst in der Zeit der kaiserlichen Ungnade, wo sich alle Gegner des Königs rührten, und sogar seine Absetzung in den Bereich der Möglichkeit gerückt erschien, hat das jüdische Volk keine Beschwerde gegen seinen Herrscher bei Augustus erhoben, bei dem Haß gegen ihn doch wohl aus keinem anderen Grunde, als weil eben die königliche Verwaltung keinen Anhalt zu wirklichen Klagen geboten hat[1]. Auch den äußeren Glanz des Reiches hat der König durch seine zahlreichen prächtigen Bauten gehoben.

Alles in allem, das schon im Altertum gefällte Urteil über das Regiment des Königs, daß er nicht nur durch Furcht, sondern auch durch wahre Fürsorge für das Wohl seines Reiches sein Volk im Zaume gehalten habe (ant. Iud. XV 326), können wir nur unterschreiben; denn die Blüte des Landes unter ihm ist nicht zu bestreiten. Und selbst wenn wir nichts weiteres wüßten, als daß die Juden trotz ihres erbitterten Hasses fast ein Vierteljahrhundert lang keinen Aufstand gegen H. gewagt haben, während sie sich nach seinem Ableben sofort in hellen Scharen erhoben, so müßten wir schon hieraus die glänzende Regierungskunst des Königs erschließen. Auch Roms Verhalten H. gegenüber ist ein einwandfreier Beweis für sie. Denn hier hätte man ihm seinen häufigen Parteiwechsel nicht ohne weiteres verziehen, wenn man in ihm nicht eine für das


  1. Vgl. hiermit das ganz andere Verhalten des Volkes gegen Archelaos, s. S. 172; Nikolaos von Damaskos hat denn auch später bei der Anklage der Juden nach dem Tode des Königs vor Augustus ausdrücklich hervorgehoben, daß sie zu dessen Lebzeiten keine vorgebracht hätten, ant. Iud. XVII 315.
Empfohlene Zitierweise:
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/098&oldid=- (Version vom 1.8.2018)