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Seite:Otto Richter Lehrjahre eines Kopfarbeiters.pdf/71

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daß er diejenigen Geistestätigkeiten, die er von Jugend auf mit der größten Bequemlichkeit verrichtete, in der Logik auseinanderzerren und gleichsam zerstören sollte, um ihren rechten Gebrauch einzusehen. Mir ging es dagegen wie dem Kinde, das sich meist nicht mit der Feststellung der bloßen Tatsache begnügt, sondern wissen will, warum das oder jenes so ist. Es machte mir Vergnügen zu erfahren, wieso ich denn bisweilen richtig gedacht hatte. Ich hielt daher selbst bei großer Hitze von 12–1 Uhr in Drobischs „Sommerlogik“ aus. Der junge Frankfurter Feuergeist war nicht einmal im Winter so standhaft gewesen. Als gegen Fastnacht beim Zuckerbäcker in der Nähe des Philosophieprofessors täglich gerade um die Stunde der Vorlesung die Kräpfel heiß aus der Pfanne kamen, verlor sich sein Kollegheft wie der Schnee im Frühjahr. Aber ich will mich nicht rühmen. In der Mittagsstunde war es kein Kraftstück pünktlich zu sein. Hätten die Vorlesungen, wie im 15. Jahrhundert, früh um 5 Uhr angefangen, wäre ich wohl auch anderswo als im Hörsaal zu finden gewesen.

In den Zwischenstunden entwickelte sich im ganzen Universitätsbau ein reges Treiben. Wie die Bienen von Blume zu Blume, so eilten die Studenten mit beflügelten Schritten von einem Lehrer zum andern, um ihm den Honig seines Wissens abzusaugen. Der stärkste Verkehr herrschte in den halbdunkeln, mit mittelalterlichen Mönchsbildern geschmückten Kreuzgängen des ehemaligen Paulinerklosters, wo am Schwarzen Brett die Professoren, bunt durcheinander auf breiten oder schmalen Zetteln Zeit, Ort und Gegenstand ihrer Vorlesungen an­gekündigt hatten. Daneben befand sich eine vielbesuchte Futter­stelle, an der man sich zur Frühstückszeit eine köstliche Lachs­- oder Schinkensemmel oder, bei bescheidenem Monatswechsel, ein dick mit Leberwurst belegtes Dreierbrot für billiges Geld erstehen konnte. Hier wandelten die Musensöhne mit vollen Backen umher, eifrig darauf bedacht, nach der Geistespflege auch die Leibesstärkung nicht zu kurz kommen zu lassen. Die

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Otto Richter: Lehrjahre eines Kopfarbeiters. Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Bertha von Baensch Stiftung, Dresden 1925, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Richter_Lehrjahre_eines_Kopfarbeiters.pdf/71&oldid=- (Version vom 30.5.2024)