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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912)

überstanden. Ich lasse mich hinreißen, stampfe mit dem Fuße auf, obgleich der Arzt mir jede Aufregung verboten hat. Und mir ist wahrhaftig nicht wohl zumute; das Stimmengewirr dringt jetzt gedämpft, aber wenig beruhigend auf mich ein. Da wende ich mich zur Seite und erblicke in einem Pfeilerspiegel, der die Aufgabe hat, die grellen elektrischen Lampen zu verdoppeln, ihr ruhiges, bleiches Gesicht, das hier von irgendwoher zurückgeworfen wird. Das ist Rettung in der Not: ich darf also in heftiger Ergriffenheit dieses mir abgekehrte vornehme Mädchen betrachten. Vor allem erkenne ich auch ihren kindlich verträumten Ausdruck, als sei sie gleich mir bemüht, eine entgleitende Erinnerung festzuhalten. Niemand weiß, daß meine zusammengekrampften Lippen sich unsichtbar lösen und der Schmerz in meinen Schläfen erträglich zu werden beginnt; denn ich fiebere noch immer, bin aber von Dankbarkeit erfüllt. Sie selbst ist nirgends zu sehen.

Nun sitze ich vielleicht stundenlang in schwächlicher Laune da, woran wahrscheinlich mein Unwohlsein die Schuld trägt. Indessen ist es spät geworden, so daß nur drei oder vier kleine verstreute Gruppen zurückgeblieben sind. Auch Eva H. ist noch da. Sie fühlt, während sie an mir vorbeigeht, meinen Blick auf sich ruhen: es fällt mir ein, daß ein einsamer Gast wie ich in einem gewissen Grade die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muß. Ich bin also fast allein mit ihr zusammen und werde sogleich ihre Stimme hören, die ich noch nicht kenne. Sie tritt zu Bekannten hin, in meine Nähe, ein Gefühl des Zweifels und der Angst erfaßt mich. Sie sagt:

‚Ist der Herr Doktor hier? Ich habe heute lange auf Sie gewartet, gnädige Frau!‘ Aber ihre Stimme klingt mir vertraut und schön, wie ich es nicht anders hätte erwarten sollen!

Andern Tags unternehme ich einen ganz planlosen Spaziergang, bevor ich mit Herzklopfen das Café betrete, denn mein Entschluß ist gefaßt. Ohne nach rechts oder links zu sehen, begebe ich mich also geradewegs zu einem unserer gemeinsamen ‚Freunde‘.

‚Willst du die Güte haben, mich mit Fräulein Eva H. bekannt zu machen?‘

‚Ach, mit dieser kleinen Schauspielerin? Gewiß, setz dich nur zu uns, wir wollen warten, bis sie kommt.‘

Ich aber fühle mit Bestimmtheit ihre Nähe, keine halbe Minute vergeht, da wird sie sichtbar. Man winkt ihr zu, sie kommt lächelnd an unseren Tisch. Ich berühre zum ersten Male ihre Hand, wundere mich jedoch über mich selbst. Dieser Augenblick hatte in meiner Einbildungskraft eine große Rolle gespielt, aber

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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912). Hammer-Verlag G.m.b.H., Berlin 1912, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pan_(25._Oktober_1912).djvu/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)