Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912) | |
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Eindruck. Am Ende des zweiten Aktes übertreibt sie einen Verzweiflungsschrei allzusehr und erzielt Heiterkeit, statt Rührung hervorzurufen. Ich warte die Pause nicht ab, sondern laufe in die Garderobe, um sie zu trösten. Aber sie ist nicht da, nur das Fräulein Meier ist gerade unbeschäftigt. Sie spricht davon, daß ihre Freundin heute nicht disponiert sei, dabei drängt sie sich an mich, weil sie mich für einen Kritiker hält. Ich kann Eva nur ganz flüchtig sehen und darf sie nach der Vorstellung nicht abholen, denn der Direktor hat sie um eine Unterredung ersucht.
Das Theater diente also nur wenig zu meiner Unterhaltung, zudem muß ich bei schlechtem Wetter allein nach Hause gehen. In meinem Zimmer machen sich die Folgen des Spazierganges auch sogleich bemerkbar. Das Fieber verstärkt sich, so daß ich heute verzichten muß, mein Stammlokal aufzusuchen. Unschlüssig besehe ich mir bei Kerzenlicht mein Bett und die Stühle und bleibe in der Stimmung eines Menschen stehen, der zu nichts auch nur die geringste Lust verspürt. Alle Verdrießlichkeiten fallen mir ein, auch jeder Händedruck von gestern und heute, der mir unwillkommen war. Eva H., die ich erst vor kurzem verlassen mußte, kommt mir wieder in den Sinn. Das erweckt Sehnsucht in mir, doch zugleich die Vorstellung des alten Professors mit den verklebten Augen und Triefsäcken, den sie Onkelchen nannte. Etwas schnürt mir die Kehle zusammen. Aber ich denke auch daran, wie der Pfeilerspiegel im Café sie mir damals gezeigt hat.
Nein, nein, ich lasse mich nicht betrügen! Der Spiegel hat die Wahrheit gesagt, wie könnte es anders sein? Und morgen will ich, mit einem Blumenstrauße bewaffnet, ein zweites Mal mit ihr um meine Seligkeit kämpfen.
Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912). Hammer-Verlag G.m.b.H., Berlin 1912, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pan_(25._Oktober_1912).djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)