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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912)

hat. Auf diesem kurzen Wege hängt er sich ungeniert in ihren Arm, macht schlüpfrige Witze, spielt den Trunkenbold und kneift sie in die Wange. Sie ist voller Nachsicht, ich darf also dagegen nicht einschreiten. Nach einem kameradschaftlichen Abschied gehen wir allein auf der dunklen Straße weiter:

‚Warum lassen Sie sich das gefallen, Fräulein H.?‘

‚Ach, wir sind gute Freunde, ich verzeihe ihm das. Er war übrigens ein wenig angeheitert, merkten Sie es nicht?‘ Ich schweige. Es beginnt zu regnen und ich bemühe mich, mit meinem Schirm nicht an ihren großen Hut zu stoßen. Der Lichtkreis einer Laterne zeigt mir sekundenlang ihr Profil und einen mir unbekannten Zug darin. Vielleicht stammt sie aus niedriger Familie. Dann sage ich:

‚Sie sollten oft mit mir beisammen sein, und zwar mit mir allein. Ich mag die vielen Leute nicht, wenn ich aufrichtig sein soll. Aber Ihre Gesellschaft würde mir Freude machen, meine Arbeit fördern.‘

‚Ja, ich hoffe, Sie bald wiederzusehen! Sind Sie nicht jeden Abend im Café?‘

‚Das wohl; aber ich wäre sehr froh, wenn wir uns anderswo treffen könnten!‘

Darauf komme ich noch mehrmals zurück. Es wird aber ausweichend geantwortet und unser Gespräch verstummt. Doch bald ist von der morgigen Aufführung die Rede, und das Versprechen wird mir abgenommen, pünktlich zur Stelle zu sein.

Das X-Theater ist in der Vorstadt gelegen, ich bin aber trotz meinem Unwohlsein pünktlich zur Stelle. Das Spiel hat noch nicht begonnen, ich gehe in die Garderobe, um Eva H. meine Aufwartung zu machen. Die Garderobe ist schmutzig, überdies lehnen schadhafte Kulissen an jeder Wand. Eva macht mich mit ihrer Kollegin, dem Fräulein Finny Meier bekannt. Beide tragen die gleichen Kleider, ähneln einander fast wie Schwestern. Fräulein Meier ist zwar kürzer und dicker, aber die Gesichter dieser Schauspielerinnen sind stark überschminkt, ihre Augen von Kohlenstreifen umschattet. Der Direktor, ein großer Mann mit Künstlerlocken, eilt fluchend hin und her, der Vorhang wird gleich in die Höhe gehen. Ich begebe mich in den Saal, der sich allmählich füllt. Proletarische Gestalten in reinen, aber schlechtsitzenden Anzügen, Frauen im Sonntagsstaat um mich herum. Wenig angenehme, viel ordinäre Mienen, Reden, Bewegungen. Das Spiel beginnt. Eva H. verkörpert die Hauptrolle in dem Drama ‚Das Röschen von Bernau‘. Ich beobachte sie aufmerksam; sie hat in der Tat wenig Talent, deklamiert unnatürlich, bewegt sich hölzern, macht sogar auf meine Umgebung nur geringen

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Alfred Kerr (Hrsg.): Pan (25. Oktober 1912). Hammer-Verlag G.m.b.H., Berlin 1912, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pan_(25._Oktober_1912).djvu/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)