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geschlossen zu haben schienen und unter der von Schrecken ergriffenen Bevölkerung die fürchterlichsten Verheerungen anrichteten. Hätte jemand die Geduld gehabt, vom Morgen bis zum Abend auf der die Stadt mit der Wassili-Insel verbindenden Brücke zu stehen, der hätte hier wohl an hundert Begräbniszüge von Verstorbenen der verschiedensten Stände aufgezählt. Besonders gross war jedoch die Zahl der Armen, die in diesem Winter starben.

Ich war erst vor zwei Monaten nach Petersburg gekommen und wie Äsops Grille hatte ich mich für den Winter in keiner Weise versorgt. Ein leichter nicht gefütterter Tuchmantel und die alte Studentenuniform waren die einzigen Schutzhüllen meines gegen die Kälte sehr empfindlichen Körpers. Dabei war ich ganz fremd in der fremden Stadt, denn ausser einigen armen armenischen Studenten kannte ich niemand und machte auch keine Bekanntschaften. Übrigens wäre es mir auch nie eingefallen, mein Zimmer zu verlassen, wenn es in demselben nicht fast kälter gewesen wäre als draussen. Meine Wohnung, die ausser mir noch ein anderer Armenier, namens Johannes, ein Schüler der Kunstakademie, inne hatte, wäre selbst für einen echten Nordländer eine keineswegs einladende Herberge

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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)