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Die Wagen und Fussgänger waren so zahlreich, dass ich eine halbe Stunde hätte auf das Ende des Zuges warten müssen. Ich ging also auf die Brücke und auf der Mitte derselben erreichte ich wieder einen Leichenwagen, auf welchem allem Anscheine nach ein Armer zur ewigen Ruhe gefahren wurde, denn ausser zwei alten Frauen und einem jungen Mädchen folgte ihm niemand. Die beiden Frauen sprachen ziemlich lebhaft mit einander und zwar wie es schien, von ihrem täglichen Leben, denn soviel ich bemerkte, folgten sie der Leiche ohne das geringste Beileid und schienen nur eine unfreiwillig übernommene Pflicht zu erfüllen.

Einen ganz andern Eindruck machte das junge Mädchen, welches heisse Thränen vergoss. Zwar stöhnte sie nicht, auch raufte sie sich nicht die Haare und noch weniger rief sie Himmel und Erde um Mitleid an, aber in ihrem trüben, trostlosen Gesichte, in ihren entzündeten Augen lag der Ausdruck ihres inneren Kampfes, ihres das Herz zerreissenden Schmerzes. Ich weiss nicht, warum mich dieses Bild so an sich fesselte, denn da ich in der Nähe des Smolenskischen Friedhofes wohnte und täglich hunderte solcher Trauerzüge sehen konnte, war ich ja schon an ihren Anblick

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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)