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jedem Tage zwei Verstorbene, geschweige denn in einer Woche. Der Verstand reicht nicht hin, um das zu verstehen. Kommt es vielleicht davon, dass jetzt die Menschen die alten Sitten der Väter verwerfen, oder sind die Ärzte ungeschickter, oder hat sich die Welt umgedreht, oder hat die Erde und das Wasser nicht mehr die frühere Kraft! … Ja, Bruder, das ist doch keine Lüge. In den ersten Jahren nach unserer Hierherkunft aus der Krim,[1] erzählten unsere alten Leute (ich bin ja auch nicht mehr sehr jung; wenn es Gott zulässt, vollende ich in der nächsten Fastenzeit mein 79. Lebensjahr), wir haben es sogar mit eigenen Augen gesehen! Ja, Gott sei mir gnädig! solche starke Fröste, solche Schneegestöber und so tiefen Schnee gab es in früheren Jahren nicht. Die letzte Kälte war immer in der Faschingszeit; da fuhren die jungen Leute auf Fischerschlitten durch die Strassen, der Frost zwickte etwas in die Backen und die Geschichte war zu Ende. Sobald die grossen Fasten kamen, fing der Schnee zu schmelzen an und das Wetter wurde gelinde. Es war damals keine Seltenheit, dass

  1. Die Handlung unserer Erzählung spielt in Nachitschewan am Don, einer armenischen Kolonie, welche gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von Armeniern aus der Krim gegründet wurde.
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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)