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gehen, wenn er den Nachbar besuchen wollte. Da war überall im Zwischenzaune ein Thürchen, das immer offen stand. In den neuen Häusern und Höfen macht man keine solche Thüren mehr, die alten verschlägt man mit Brettern oder verrammelt sie mit Steinen. Die Nachbarn wollen einander gar nicht einmal sehen, geschweige denn einander besuchen. Sie beobachten einander mit schiefen Blicken, spionieren, lachen einer den andern aus, stehlen einer dem andern Geflügel, werfen sich gegenseitig krepierte Hunde und Katzen in den Garten. Ja, ja, so leben heute die Nachbarn mit einander. Früher lebten die Nachbarn wie leibliche Brüder zusammen und auch ihre Weiber waren gute Freundinnen. Es ist doch nicht immer Sonnenschein, es kommen auch trübe Tage, und an solchen Tagen, wenn, was Gott verhüten mag, sich die Not einstellt, sieht man sich umsonst nach den Verwandten um. Ach, Bruder, was soll ich dir denn da noch viel sagen! Vom vielen Klagen thut mir schon der Mund weh. Und der Sprecher muss ja einen Zuhörer haben, mit einer Hand kann man doch nicht Beifall klatschen. Ach, lieber Himmel! weisst du, diese Sterbeglocke will mir nicht aus dem Sinn! Wer kann da heute gestorben sein! Ich zerbreche mir den Kopf

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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/24&oldid=- (Version vom 1.8.2018)