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bei der Hand, um sich hineinzumengen. Sie nahm Kati bei Seite und erzählte ihr haarklein die ganze Geschichte, ja, den ganzen Sachverhalt deckte sie ihr auf. Da gingen der seligen Kati die Augen auf. „Ach, Mama, Mama!“ schrie sie und fiel in Ohnmacht. Man brachte sofort kaltes Wasser und Essig, aber es half nichts. Da kam endlich der Doktor und mit seiner Hülfe kam sie allmälig wieder zum Bewusstsein. Sie wurde nun sogleich nach Hause gefahren, aber in halbtotem Zustande. Der Ball war natürlich zu Ende, alle gingen plaudernd und flüsternd nach Hause.

„Das war es, was Kati krank machte. Mit jedem Tage wurde sie magerer, ja, sie zerrann und schmolz wie eine Kerze. Man schickte Depeschen nach Nowotscherkask, Charkow, Taganrog und Odessa, liess die besten Arzte kommen, aber keiner konnte ein Mittel gegen ihr Leiden finden. Seit dem Tage jenes Anfalles verlor die Arme die Sprache, sie sprach kein einziges Wort mehr und nur durch Kopfbewegungen gab sie zu verstehen, ob sie „ja“ oder „nein“ sagen wolle. Sechs Monate lang hat sie sich so martern müssen und siehe da! heute ist ihre unschuldige Seele zu Gott entschwebt.

„Ach, ach, das arme Mädel!“


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Rafael Patkanjan: Drei Erzählungen. Wilhelm Friedrich, Leipzig [1886], Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PatkanjanDreiErz%C3%A4hlungen.pdf/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)