„Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht;“[1] die Satten brauchen nicht nach Speisen zu seufzen; die Reichen haben nicht nöthig um Beistand anzusprechen. Was haben also Diejenigen, die ihre innern Bedürfnisse nicht fühlen, die weder Furcht noch Schrecken in sich erfahren, die von der Nothwendigkeit der Kraft Gottes, ihnen zu helfen, des Lichts seines Angesichts, sie zu trösten, nicht überzeugt sind, – was haben diese mit dem Gebete zu thun? Gewiß, ihre Andachtsübungen scheinen, aufs gelindeste genommen, bloß ein ernsthafter Scherz zu seyn, den sie vor dem Allmächtigen treiben; da sie Dasjenige, um welches sie bitten, weder kennen noch nöthig zu haben glauben, und es auch nicht einmal verlangen. Sie bitten: „Der Wille Gottes möge geschehen,“ und thun dennoch immer ihren eigenen. Es ist ihnen freilich ein Leichtes, die Worte auszusprechen; aber die Sache ist ihnen doch schrecklich. Sie bitten um göttliche Gnade, und mißbrauchen die, welche sie haben; – um den Geist Gottes; widerstreben ihm aber in ihren eigenen Herzen und verspotten ihn in Andern. Sie flehen Gott um seine Barmherzigkeit und Güte an; allein sie fühlen kein wahres Bedürfniß derselben; und in dieser innern Unempfindlichkeit sind sie auch eben so unfähig, Gott für das, was sie haben, zu loben, als um das, was sie nicht haben, zu bitten. Aber „die, welche nach dem Herrn fragen,“ sagt David, „werden ihn preisen; denn er sättiget die durstige Seele, und füllet die hungrige mit Gütern.“[2] Auch hat er für die Armen und Elenden noch Dieses aufbewahrt: „Laß die (geistlich) Armen und Elenden deinen Namen preisen!
Wilhelm Penn: Ohne Kreuz keine Krone. Georg Uslar, Pyrmont 1826, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Penn_Ohne_Kreuz_keine_Krone.djvu/099&oldid=- (Version vom 1.8.2018)