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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

neun Teile Erhabenen, ihren Schöpfer, den zehnten, Gott. Denn er (der vollkommene Mensch) steigt auf der Suche nach dem Künstler über das Werk hinaus und strebt danach, sein Schützling und Diener[1] zu werden. Darum weiht der Priester dem Zehnten, Einzigen und Ewigen den Zehnten vom Ganzopfer. 106 Das bedeutet eigentlich das seelische Passah,[2] der Übergang von jeglichem Affekt und jeglicher Erscheinung der Sinnenwelt zum Zehnten, welches das Intellegible und Göttliche ist. Denn es heißt: „Am zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für sein Haus nehmen“ (2 Mos. 12, 3), damit vom zehnten (des Monats) an[3] dem Zehnten (Gott) die Opfertiere geweiht werden. Diese werden in der zu zwei Dritteln erleuchteten Seele[4] so lange behütet, bis diese, wie der Vollmond nach seinem Wachstum in der zweiten Woche, ganz und gar zum himmlischen Licht geworden ist und nicht nur die makellosen und tadellosen Fortschritte des Geistes in sich bewahren, sondern auch als Opfer darzubringen vermag.[5] 107 Das gleiche gilt auch vom Sühnopfer, das ebenfalls auf den zehnten des Monats festgesetzt ist (3 Mos. 23, 27), wenn die Seele den zehnten Gott im Gebet angeht, nachdem sie von der Niedrigkeit und Nichtigkeit des Gewordenen durch verstandesmäßige Überlegung[6] überzeugt ist und des Ungewordenen (Gottes) Unerreichbarkeit in allem

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/031&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. Ἱκέτης καὶ θεραπευτής: vgl. den griechischen Titel der Schrift über die Therapeutensekte: περὶ βίου θεωρητικοῦ ἢ ἱκετῶν.
  2. Zur Allegorese des Passah (s. 2 Mos. 12, 27) vgl. Über die Opfer Abels § 63 und: Über die Einzelgesetze II § 145 Anm. 2.
  3. Vgl. 2 Mos. 12, 6: „Ihr sollt es aufbewahren bis zum 14. Tag dieses Monats, dann soll es die gesamte Gemeinde Israel zur Abendzeit schlachten.“
  4. Gemeint ist das λογικόν (Denkvermögen) und ἐπιθυμητικόν (das triebhafte Element) der Psyche. Über die philonische, von Platon entlehnte Lehre von der Dreiteilung der Seele vgl. All. Erkl. I § 70 Anm.
  5. Das vom 10. Nissan an im Hause aufbewahrte (vgl. φυλάττειν; zu ἀσινεῖς καὶ ἀμώμους s. 2 Mos. 12, 5) Passahopfer wird am Abend des 14. Nissan, also am Ende der zweiten Woche (§ 106: κατὰ δευτέρας ἑβδομάδος παραύξησιν), und zwar mit Eintritt des Vollmonds (πλησιφαὴς σελήνη) geopfert. S. 2 Mos. 12, 18. Die philonische Deutung des Passahopfers beruht auf der für seine Gesamtauffassung vom Opfer charakteristischen Ansicht, daß der Weise als würdigstes Opfer seinen eigenen Geist (als λογικὴ θυσία) darbringt. Näheres darüber in meinem Buch: Sobria ebrietas S. 6, 3, wo weitere Literatur angeführt wird.
  6. Unter περινοίᾳ (περινοίαν codd., corr. Mangey) λογισμοῦ ist die philosophische Überlegung zu verstehen, denn: „Die Erkenntnis des Nichtwissens ist das Ziel alles Wissens, da es nur einen gibt, der wissend ist, den einzigen Gοtt“ (Über die Wanderung Abrahams § 134).