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Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy

Sie aber bemerkt die Geringschätzung jener, tadelt sie und spricht freimütig: „Ich werde von euch ungerecht und wider jeden Vertrag behandelt, da ihr eure Abmachungen verletzt. 152 Denn seitdem ihr die Vorbildung, den Sprößling meiner Sklavin, in eure Arme geschlossen habt, ehrt ihr jene wie eine rechtmäßige Gattin, von mir aber habt ihr euch so abgewandt, daß ihr niemals mehr mit mir zusammenkommt.[1] Doch vielleicht nehme ich das von euch <zu Unrecht>[2] an, indem ich aus eurem offenen Verkehr mit der Magd auf eine unmerkliche Entfremdung von mir schließe. Sollte es sich mit euch nun meiner Vermutung entgegengesetzt verhalten, so ist das für jeden andern schwer, für Gott allein aber leicht zu durchschauen.“ 153 Darum sagt sie passend: „Gott möge zwischen mir und dir richten“ (1 Mos. 16, 5); denn sie verdammte ihn nicht im voraus, als ob er unrecht gehandelt habe, sondern war im Zweifel, ob er vielleicht doch recht getan hätte. Bald darauf klärt er (Abraham) sie durch seine Verteidigungsworte völlig auf und heilt sie von ihrem Zweifel, indem er spricht: „Siehe, die junge Magd ist in deinen Händen, tue mit ihr, was dir gefällt“ (1 Mos. 16, 6). 154 Indem er sie „junge Magd“ nennt, gibt er beides zu: daß sie eine Sklavin und daß sie unmündig sei – denn der Begriff „junge Magd“ bezieht sich auf beide Eigenschaften. Ebenso erkennt er damit auch sofort ohne Einschränkung die entgegengesetzten Anlagen an:[3] daß nämlich der Unmündigen die Erwachsene[4] und der Sklavin die Herrin gegenübersteht, indem er geradezu laut ausruft: „Ich liebe die enkyklische Bildung wie eine junge Magd, die Wissenschaft und die Vernunft aber ehre ich wie eine erwachsene Herrin.“ 155 Die Worte „in deinen Händen“ bedeuten zunächst: „Sie ist in deiner Hand (Gewalt).“[5] Sie besagen aber noch etwas anderes: „Wie die Fähigkeiten der Sklavin sich auf die Hände [542 M.] des Körpers übertragen – denn die allgemeine

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen (De congressu eruditionis gratia) übersetzt von Hans Lewy. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloCongrGermanLewy.djvu/043&oldid=- (Version vom 10.12.2016)
  1. Vgl. Philo quaest. in Gen. III § 23.
  2. Es ist mit Wendland οὐκ ὀρθῶς (hinter ἴσως) zu ergänzen. [Wendlands Ergänzung wird überflüssig, wenn man die Stelle folgendermaßen auffaßt: „Doch vielleicht vermute ich bloß das von Euch, weil ich ... schließe.“ M. A.]
  3. Dieses „Eingeständnis“ erschließt Philo auf indirektem Wege (κατ` ἀντίφρασιν) aus der Bezeichnung παιδίσκη ‘junge Magd’ (שפחתך‎ im Urtext bedeutet nur ‘Magd’).
  4. Τέλειος bedeutet ‘erwachsen’ und ‘vollkommen’.
  5. Ὑποχείριος (‘untertänig’) wird hier etymologisch (von χείρ) interpretiert. Vgl. quaest. in Gen. III § 24.