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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

erzählt man, er habe Kupfer und Elfenbein und Gold und andere verschiedene Stoffe zur Verfertigung seiner Statuen genommen, in ihnen allen jedoch nur eine und dieselbe Kunst zum Ausdruck gebracht, so daß nicht nur Sachverständige, sondern auch arge Laien den Künstler nach den Kunstwerken erkannten. 90 Wie nämlich die Natur oft bei Zwillingen denselben Stempel verwendet, um beinahe völlige Ähnlichkeit zu prägen, ebenso prägt auch die vollkommene Kunst – Nachahmung und Abbild der Natur,[1] – wann sie verschiedene Stoffe vornimmt, ihnen allen beim Gestalten dieselbe Idee ein, so daß hauptsächlich dadurch die Kunstwerke zu Verwandten, Brüdern und Zwillingen werden. 91 Dasselbe wird auch die dem Weisen innewohnende geistige Fähigkeit[2] zur Erscheinung bringen: denn sofern sie sich mit den Fragen des (wahrhaft) Seienden beschäftigt, wird sie Gottesfurcht und Frömmigkeit genannt, sofern mit dem Himmel und den Vorgängen auf ihm, Naturphilosophie; Meteorologie, sofern mit der Luft und all dem, was durch ihre Wandlungen und Veränderungen in der Zeit eines ganzen Jahres und seiner Teile, im Verlaufe von Monaten und Tagen, zu entstehen pflegt; Ethik, sofern mit den Fragen zur Verbesserung der menschlichen Sitten; die Arten der letztgenannten sind die Staatswissenschaft, die es mit dem Staate, die Verwaltungslehre‚ die es mit der Besorgung der Hauswirtschaft zu tun hat, die Kneipwissenschaft, [371 M.] die es mit Kneipen und Gelagen, ferner aber auch die Regierungswissenschaft, die es mit der Leitung der Menschen, und schließlich die Gesetzgebungswissenschaft, die es mit Geboten und Verboten zu tun hat. 92 All das nämlich faßt der wahrhaft vielgerühmte und vielnamige[3] Weise in


  1. Das sieht aus, wie die allgemein verbreitete aristotelische Definition der Kunst, platonisch gefärbt; hier liegt aber nicht der verbreitete (triviale) Gedanke vor, daß die Kunst Gegenstände der Natur nachahmt, sondern der seltene, daß die τέχνη sich die φύσις methodisch zum Muster nimmt; vgl. Heinemann, Poseid. met. Schr. II 203, 3.
  2. Philo kann die σοφία des Künstlers mit der des Weisen in eine Parallele bringen, da es auch eine σοφία ἐν ταῖς τέχναις gibt, die z. B. von Aristoteles Eth. Nicom. VI 7 als ἀρετὴ τέχνης erklärt wird.
  3. Vielnamigkeit der Götter war für den antiken Menschen ein Beweis ihrer Macht; je mehr Namen ein Gott hat, desto größer ist seine Ehre (Darüber WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt vgl. W. Capelle, Die Schrift von d. Welt, Neue Jahrbücher 1905, XV 560, und Anm. 3). Die Idealisierung des Weisen und seine Gleichsetzung mit den Göttern entspricht stoischer Ansicht. Über Philos Standpunkt vgl. die Anm. zu Alleg. Erkl. I 43 (= III 30, l).
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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/038&oldid=- (Version vom 8.6.2018)