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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

stofflichen Dinge nahe? vielmehr eine Mischung aus ihnen selbst und der Luft und manchmal auch des Feuers, das die Stoffe schmilzt, und der in unserer Nase wirkenden Kraft? 191 Daraus läßt sich also zusammenfassend schließen, daß wir nicht die Farben wahrnehmen, sondern die Mischung, die aus den der Wahrnehmung zugrunde liegenden Gegenständen und dem Lichte entsteht, nicht die Gerüche, sondern ein Gemengsel, das aus dem von den Körpern herfließenden Stoffe und der alles umgebenden Luft entstand, nicht die Säfte, sondern das Produkt aus dem von außen kommenden Geschmacksgegenstande und der im Munde vorhandenen flüssigen Substanz. [47] 192 Bei einer derartigen Sachlage verdienen doch diejenigen, die es leicht fertigbringen, über jeden beliebigen Gegenstand ein bejahendes oder verneinendes Urteil zu fällen, daß man sie der Einfältigkeit oder der Voreiligkeit oder leerer Prahlsucht zeihe. Denn wenn uns die einfachen wirkenden Kräfte unzugänglich sind, die gemischten und aus mehreren zusammengesetzten aber uns zwar vor den Augen liegen, ohne daß es jedoch möglich wäre, die unsichtbaren (Kräfte) zu erblicken und durch die Mischung hindurch das eigentümliche Gepräge jeder einzelnen der zusammengesetzten (Kräfte) gesondert zu erkennen, was bliebe denn übrig als notgedrungen[1] mit seinem Urteil zurückzuhalten? 193 Und rufen uns denn nicht jene Tatsachen[2] die Warnung zu, unklaren Dingen ja nicht


  1. Wenn man das überlieferte Wort ἀναγκαῖον hier nicht adverbial auffassen kann, so ist die leichte Änderung in ἀναγκαίως der Streichung, die Cohn vorschlug, vorzuziehen oder der Ausfall der Präposition κατὰ anzunehmen. Die Wendung κατὰ τὸ ἀναγκαῖον oder κατὰ τἀναγκαῖον ist bei Philo äußerst häufig; vgl. z. B. Ü. d. Weltschöpf. § 53, Ü. d. Nachk. Kains § 108, Ü. d. Dekalog § 18, Ü. d. Tug. § 118, § 190, Ü. Belohn. u. Strafen § 98, 105 u. a. m.
  2. Damit geht Philo zu dem 10. τρόπος des Sextus über, welcher sich gegen die Glaubwürdigkeit der ἄδηλα wendet, während sich alle bisherigen τρόποι mit den sinnfälligen Dingen, den sogenannten ἐναργῆ, beschäftigt haben. Nach dem glaubhaften Nachweise v. Arnims (a. a. O. S. 66) ist nun der 10. τρόπος „in der philonischen Darstellung deutlich in zwei τρόποι gespalten.“ Der erste Teil, in welchem „die Widersprüche der ἀγωγαί, ἔθη, νόμοι, besprochen werden“, reicht bis zum Schlusse des § 197. – Dieses auf der Verschiedenheit der Völkersitten beruhende Argument hat Philo auch in seiner Schrift „Ü. d. Vorsehung“ verwendet (vgl. die Belegstellen bei Wendland, Philos Schrift über die Vorsehung, S. 35, Anm. 3). Es wurde wohl nicht von Aenesidem erfunden, sondern war sicher schon in der akademischen Skepsis oft gebraucht (s. Wendland a. a. O. S. 36, 1). Βαρβαρικὰ νόμιμα sammelten ja schon die Kyniker.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/066&oldid=- (Version vom 21.5.2018)