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Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler

diesem gegenüber allein ist es ganz besonders unersättlich; vom Schlafe nämlich, vom Essen, vom Liebesgenusse und dergleichen wird schließlich doch jeder satt und befriedigt, vom Weine aber fast niemand und am wenigsten diejenigen, die sich in diesem Fache üben; 221 denn auch nachdem sie getrunken, haben sie noch immer Durst; sie fangen mit ziemlich kleinen Bechern an, gehen dann aber bald zum Auftrag über, aus größeren Kannen einzuschenken; sind sie aber erst leicht angeheitert und warm geworden, verlieren sie bald die Herrschaft über sich und leeren gleich Weinschöpfer, große Pokale und ganze Mischkrüge voll Weines in einem einzigen Zuge, [391 M.] bis sie entweder von tiefem Schlafe bezwungen werden oder bis der ganze Hohlraum ihres Leibes angefüllt ist und jeder weitere Schluck übersprudelt. 222 Aber auch dann noch ist trotzdem der unstillbare Trieb in ihnen immer noch gleichsam gierig und voll Verlangen: „denn vom Weinstock Sodoms ist ihr Weinstock“, wie Moses sagt, „und ihre Weinrebe aus Gomorrha; ihre Traube ist die Traube der Galle und ihre Beere die der Bitterkeit; Wut der Drachen ihr Wein, unheilbare Wut der Nattern“ (5 Mos. 32, 32. 33). Der Name Sodom aber bedeutet Unfruchtbarkeit und Blindheit,[1] mit dem Weinstock jedoch und seinen Erzeugnissen vergleicht er (Moses) die der Trunksucht, der Gefräßigkeit und den häßlichsten Lüsten Unterliegenden. 223 Worauf er damit anspielt, ist wohl folgendes: In der Seele des Schlechten wächst das Gewächs des wahren Frohsinns[2] nimmer; denn die Wurzeln, die sie hat, sind nicht gesund, sondern sind verbrannt und eingeäschert werden, als der Himmel statt Wassers die Blitzesflammen Gottes unauslöschlich regnen ließ, der das Strafgericht an den Gottlosen herrlich vollzog; wohl aber (wächst in der Seele des Schlechten das Gewächs) der unbeherrschbaren Begierde, welche, bar aller Frucht des Edlen und blind für alles Schauenswerte, mit dem Weinstocke verglichen wird, aber nicht etwa mit der Mutter edler[3] Früchte, sondern mit einem solchen, welcher Erbitterung,


  1. Dieselbe Etymologie Ü. d. Träume II § 192, nur daß dort die beiden Übersetzungen alternativ voneinander geschieden werden; [beides wohl von סתםverschließen. I. H.].
  2. Zwei Arten von Weinstöcken nimmt Philo in dem Abschnitt § 169–194 der 2. Abh. „Ü. d. Träume“ an; der eine ist das Symbol der Unvernunft, der andere das des Frohsinns (εὐφροσύνη), den die Stoiker billigen und nur dem Weisen zutrauen.
  3. Die Unterscheidung zwischen Kultur- und Wildpflanzen (ἥμερα und ἄγρια φυτά) ist bei Philo häufig.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Trunkenheit (De ebrietate) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloEbrGermanAdler.djvu/075&oldid=- (Version vom 21.5.2018)