[17] 87 Es ist nun erforderlich, die unumgänglich wichtigen, diesen Punkt betreffenden Fragen sorgfältig zu erörtern. Es sind vier an Zahl: erstens, warum nur aus den Städten, die dem levitischen Stamm zugefallen waren, und nicht auch aus denen der übrigen Stämme Städte für die Flüchtlinge abgesondert wurden; zweitens, warum es sechs Städte sind, nicht mehr und nicht weniger; drittens, warum eigentlich drei Städte jenseits des Jordan, die übrigen im Lande der Kanaanäer gelegen sind; viertens, warum als Termin für die Rückkehr der Flüchtlinge der Tod des Hohenpriesters bestimmt ist. 88 Wir wollen nun jede dieser Fragen in angemessener Weise erörtern und beginnen mit der ersten.[1] Sehr zutreffend ist die Bestimmung, in die nur den Leviten zugeteilten Städte Zuflucht zu nehmen; denn in der Tat, die Leviten sind in gewisser Weise Flüchtlinge, da sie, um Gott zu gefallen, Eltern, Kinder, Brüder und ihre ganze übrige sterbliche Verwandtschaft verlassen haben. 89 Den Anführer dieser Schar läßt die Schrift zu Vater und Mutter sagen: „Ich habe euch nie gesehen, meine Brüder kenne ich nicht, meine Söhne erkenne ich nicht an (5 Mos. 33, 9),[2] um ungestört dem Seienden zu dienen. Die wahre Flucht ist nämlich mit dem Verlust des Befreundetsten und Liebsten verbunden. Wegen der Ähnlichkeit ihres Tuns vertraut die Schrift also Flüchtlinge Flüchtlingen an, damit sie Amnestie für ihre Taten erlangen. 90 Vielleicht auch nicht nur deswegen, sondern auch, weil der Stamm der Tempeldiener, die Leviten, diejenigen, die in dem goldenen Kalb, dem Symbol der ägyptischen Verblendung, einen Götzen geschaffen hatten, überfielen und Mann für Mann töteten, in gerechtem Zorn, mit heiliger Begeisterung und von einer Art gottgesandter Besessenheit ergriffen. „Und ein jeder tötet seinen Bruder, den nahe und den am nächsten Stehenden“ (2 Mos. 32, 27): nämlich den Bruder der Seele, den Leib, das dem vernünftigen Seelenteil Nahestehende, den unvernünftigen Seelenteil, und das dem Geist am nächsten Stehende, die Rede. 91 Denn nur so kann das Beste in uns selbst ein Diener des Besten in der Welt des Seienden werden, wenn sich zunächst der Mensch zur bloßen Seele auflöst, nachdem er ihren Bruder, den Leib, und die unersättlichen Begierden abgetrennt und abgehauen hat; wenn dann, wie
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/026&oldid=- (Version vom 21.5.2018)