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Sündlosigkeit ist Gottes, Reue des Weisen Vorrecht; diese ist aber schwer und selten zu finden. 158 Das Gotteswort sagt nun, daß Moses im sterblichen Leben die – Vergehungen mit Reue büßende – Vernunft[1] „suchte und aufsuchte“. Er bemühte sich nämlich, eine Seele zu finden, die das Unrechttun abgelegt hat und ohne Scham der Sünden bloß hervortreten kann. Gleichwohl fand er sie nicht, da die Flamme, nämlich der rasch erregte, vernunftlose Trieb, herabgefahren war und die ganze Seele verzehrt hatte. 159 Denn das in der Minderzahl Befindliche wird von der Übermacht, das Langsamere von dem Schnelleren, das Zukünftige von dem Gegenwärtigen überwältigt; beschränkt, langsam und (stets nur) zukünftig ist aber die Reue, häufig, schnell und immer gegenwärtig das Unrechttun im sterblichen Leben. Mit Recht sagt also auch der in einer Veränderung Befindliche, er könne nicht „von dem um der Sünde willen Dargebrachten essen“: sein Gewissen erlaube es ihm nicht, sich von Reue zu nähren; deshalb heißt es: „Moses hörte es, und es gefiel ihm“ (3 Mos. 10, 19. 20). 160 Denn was der Schöpfung angehört, ist weit entfernt von dem, was Gott angehört. Denn jener ist allein das Sichtbare bekannt, Gott dagegen auch das Unsichtbare. Von Sinnen ist aber, wer Aufrichtigkeit heuchelt und, während er noch Unrecht tut, behauptet, er habe bereut; das ist ebenso, wie wenn ein Kranker [570 M.] den Gesunden spielte, denn er wird wahrscheinlich noch kränker werden, da er keins von den Mitteln, die der Gesundheit zuträglich sind, anwenden will. [29] 161 Angetrieben von seiner lernbegierigen Natur, suchte Moses einmal auch nach den Ursachen, durch welche die wichtigsten Dinge in der Welt zustandekommen. Denn indem er betrachtet, wie alles in der Schöpfung zerstört und erzeugt wird, vergeht und beharrt, staunt er und verwundert sich und ruft aus: „Warum brennt der Dornstrauch und verbrennt doch nicht?“ (2 Mos. 3, 2. 3).[2] 162 Das unbetretbare Gebiet[3] nämlich, den Aufenthalt göttlicher Wesen, erforscht er nicht weiter,[4] vielmehr wird er, wie er schon im Begriff ist, einer unfruchtbaren und erfolglosen Mühe sich zu unterziehen, befreit durch das Erbarmen und


  1. Vielleicht besser: die Kunde von der Reue über Verfehlungen. I. H.
  2. Philo denkt wohl an die stoische Ekpyrosis.
  3. Philo bringt βάτος (Dornstrauch) mit ἄβατος zusammen.
  4. Hier hat Colson V 98 den Text richtig auf gefaßt; danach ist zu übersetzen: „Versucht er nicht neugierig das unbetretbare Gebiet, den Aufenthalt göttl. Wesen, zu erforschen? Aber er wird...“ Μ. A.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Flucht und das Finden. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloFugGermanAdler.djvu/042&oldid=- (Version vom 21.5.2018)