Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt | |
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bei der Frömmigkeit eines so grossen Volkes selbstverständlich war, so bedurfte es zu dem heiligen Dienst auch einer Menge von Tempelwärtern. 160 Ihre Wahl fand wiederum auf eine ganz neue und ungewöhnliche Weise statt: einen von den zwölf Stämmen erachtete er nach seinem Verdienst für geeignet und wählte er für dies Amt, das er als Preis und Auszeichnung für ein gottgefälliges Werk verheissen hatte. 161 Dies Werk war folgendes (2 Mos. cap. 32). Als Moses auf den Berg in der Nähe gestiegen war und dort mehrere Tage mit Gott allein war, hielten die von Natur Wankelmütigen seine Abwesenheit für eine günstige Gelegenheit; als ob völlige Führerlosigkeit eingetreten wäre, gaben sie sich zügellos unfrommem Tun hin und wurden, die Ehrfurcht gegen das wahrhaft seiende Wesen vergessend, Verehrer der aegyptischen Gebilde. 162 Also verfertigten sie[1] einen goldenen Stier, eine Nachbildung des Tieres, das in jenem Lande für das heiligste galt, brachten unheilige Opfer dar, führten unfromme Reigentänze auf, sangen Hymnen, die von heidnischen Trauergesängen[2] nicht verschieden waren, und wurden durch den übermässigen Genuss ungemischten Weines von einem zweifachen Rausch ergriffen, infolge des Weines und ihrer Unvernunft, und schmausend und schwärmend verlebten sie die ganze Nacht, unbekümmert um die Zukunft, in dem süssen Laster. Aber ihrer wartete die gerechte Vergeltung, die auf die Verblendeten sah und auf die Strafen, die sie verdienten. 163 Als nun das unaufhörliche Schreien der in grossen Haufen Versammelten aus dem Lager bis in weite Entfernung drang, so dass das Getöse sogar bis auf den Bergesgipfel gelangte, da traf es das Ohr des Moses, und er, in seiner Liebe zu Gott und zu den Menschen zugleich, befand sich in grosser Ratlosigkeit: weder konnte er sich entschliessen, das vertraute Gespräch mit der Gottheit zu verlassen, das er in der Einsamkeit allein mit ihr pflegte, noch auch wollte er untätig bleiben, wenn die Menge die bösen Folgen der Abwesenheit des Führers in vollem Masse
Philon: Ueber das Leben Mosis (De vita Mosis) übersetzt von Benno Badt. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloMos2GermanBadt.djvu/038&oldid=- (Version vom 1.8.2018)