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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

die andere „Abgrund“, denn der leere Raum ist sehr tief und weit ausgedehnt[1]. Dann schuf er die unkörperliche Substanz des Wassers und die des Lufthauches und zu allen (diesen Dingen) als siebentes die Idee des Lichtes, das gleichfalls unkörperlich war, das gedachte Musterbild der Sonne und aller lichtspendenden Gestirne, die am Himmel entstehen sollten.

[8.] 30 Eines besonderen Vorzugs wurden der Lufthauch und das Licht gewürdigt; jenen nannte er (den Hauch) Gottes, weil der Hauch das am meisten Lebenspendende[2] und Gott der Urheber des Lebens ist; vom Lichte aber sagt er, dass es „ausserordentlich schön“ war (1 Mos. 1,4); denn das gedachte Licht ist um soviel glänzender und strahlender als das sichtbare, wie die Sonne die Finsternis überstrahlt und der Tag die Nacht und die Vernunft, der Leiter der ganzen Seele, die Augen des Körpers. 31 Jenes unsichtbare und gedachte Licht [7 M.] aber ist ein Abbild der göttlichen Vernunft, die seine Entstehung erklärt; es ist ein überhimmlisches Gestirn, die Quelle der sinnlich wahrnehmbaren Gestirne, die man treffend „Allglanz“ nennen könnte, aus dem Sonne und Mond und die übrigen Planeten und Fixsterne je nach ihrer Kraft die angemessenen Lichtquellen schöpfen, da jener ungemischte und reine Glanz sich trübt, sobald er anfängt, sich beim Uebergang aus dem Gedachten in das sinnlich Wahrnehmbare zu verwandeln; denn ganz rein ist keines der in der Sinnenwelt vorhandenen Dinge. [9.] 32 Trefflich ist auch das Wort: „Finsternis war über dem Abgrund“ (1 Mos. 1,2); denn die Luft ist gewissermassen über dem Leeren, da sie ja in den ganzen weitausgedehnten, öden und leeren Raum eindrang und ihn erfüllte, soweit wie er von der Mondsphäre bis zu uns reicht. 33 Aber nach dem Aufleuchten des gedachten Lichtes, das vor der Sonne geschaffen ist, wich die entgegengesetzte Idee, die Finsternis, zurück, indem Gott die beiden auseinanderrückte

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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/15&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. Der Ausdruck der LXX ἄβυσσος (= תהום‎) bedeutet Untiefe, Abgrund, womit die Untiefen der Wassermassen gemeint sind, die die Erde bedeckten. Philo versteht darunter die Idee des leeren Raumes, weil dieser sehr tief und unermesslich ist.
  2. Das πνεῦμα (Pneuma) ist nach der Anschauung der griechischen Philosophen, insbesondere der Stoiker, das Lebensprinzip, die Lebenskraft.