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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

verhalten; wir müssen vielmehr aus Liebe zu Gott selbst über unsere Kraft hinaus sie zu schildern wagen, indem wir zwar eigentlich nichts, statt des Vielen aber doch einiges vorbringen, soweit der von Verlangen und Sehnsucht nach Weisheit beherrschte menschliche Geist vorzudringen vermag. 6 Denn wie auch das kleinste Siegel, wenn es geprägt wird, die Abbilder kolossaler Grössen aufnimmt, so werden vielleicht auch die ausserordentlichen Schönheiten der in den Gesetzen beschriebenen Weltschöpfung, wenn sie mit ihren Strahlen die Seelen der Leser treffen, auch bei schwächerer Darstellung offenbar werden; es muss jedoch zuvor noch etwas erwähnt werden, was nicht verschwiegen werden darf.

[2.] 7 Es haben nämlich manche, weil sie die Welt mehr als den Weltschöpfer bewunderten, jene für unerschaffen und ewig erklärt[1], diesem aber, Gott nämlich, in unfrommer Weise völlige Untätigkeit angedichtet, während sie im Gegenteil dessen Macht als die eines Schöpfers und Vaters anstaunen mussten und nicht die Welt über alles Mass verherrlichen durften. 8 Moses aber, der bis zum höchsten Gipfelpunkt der Philosophie vorgedrungen und durch göttliche Offenbarungen über die meisten und wichtigsten Dinge der Natur belehrt worden ist, erkannte sehr wohl, dass in den existierenden Dingen das eine die wirkende Ursache, das andere ein Leidendes sein muss, und dass jenes Wirkende der Geist des Weltganzen ist, der ganz reine und lautere, der besser ist als Tugend, besser als Wissen, besser als das Gute an sich und das Schöne an sich, 9 dass das Leidende dagegen an und für sich unbeseelt und unbeweglich ist, nachdem es aber von dem Geiste bewegt und gestaltet und beseelt worden, in das vollendetste Werk, in diese (sichtbare) Welt, sich verwandelte[2].

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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/7&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. Die Worte sind hauptsächlich gegen Aristoteles gerichtet, der in Uebereinstimmung mit älteren griechischen Philosophen die Anfangslosigkeit und Ewigkeit der Welt behauptete. In der Schrift „über die Unzerstörbarkeit der Welt“ verteidigt Philo ausführlich die mit der Lehre Platos und der Stoiker übereinstimmende biblische Anschauung von der Erschaffung der Welt. Zum Gedanken vgl. Weish. Sal. XIII 3ff.
  2. Die Unterscheidung der zwei Weltprinzipien, der wirkenden Ursache und der passiven Materie, ist stoische und pythagoreische Anschauung. Die Weltschöpfung ist bei Philo nicht (wie in der Bibel) eine Schöpfung aus WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt dem Nichts, sondern eine Weltbildung (ebenso Weish. Sal. XI 17). Wenn Philo an andern Stellen die Schöpfung aus dem μὴ ὄν d. h. dem Nichtseienden geschehen lässt, so versteht er mit Plato unter dem μὴ ὄν nicht das absolute Nichts, sondern das was in keiner bestimmten Form vorlag d. h. die formlose leblose Materie, die erst durch Gott Form, Leben und wirkliches Sein erhält. Unter den jüdischen Religionsphilosophen des Mittelalters vertritt denselben Standpunkt Levi b. Gerson (Gersonides), während Maimonides an der Schöpfung ex nihilo streng festhält. Ebenso ist die Gleichstellung der wirkenden Ursache (Gott) mit dem Geist des Weltalls (νοῦς τῶν ὅλων), der Weltseele, stoisch. „Rein und lauter“ ist der νοῦς im Gegensatz zur Kreatur, die aus Mischung besteht.