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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

nicht von einem andern überführt wurden, sondern nur von ihrem Gewissen, dessen Richterstuhl allein durch Redekünste nicht irregeführt werden kann. 207 Kinderreich war der erste Stammvater (Abraham), der mit drei Frauen Kinder gezeugt hatte, nicht zur Befriedigung seiner Lust, sondern in der Hoffnung auf Vermehrung des Geschlechts. Aber von den vielen Söhnen wurde einer allein zum Erben der väterlichen Güter erklärt, alle anderen aber, die von der gesunden Meinung abgewichen waren und nichts Gutes von ihrem Vater angenommen hatten, wurden verwiesen und aus dem so berühmt gewordenen Adel ausgeschlossen (1 Mos. 25,5.6). 208 Dem auserwählten Erben (Isaak) wiederum werden zwei Zwillingssöhne geboren, die nicht die geringste Aehnlichkeit miteinander zeigten[1], weder in körperlicher Hinsicht noch in ihren Anschauungen: der Jüngere war den beiden Eltern ein gehorsamer Sohn und erregte solches Wohlgefallen, dass ihm selbst von Gott Lob gespendet wurde, der Aeltere dagegen war unfolgsam und unmässig in der Befriedigung leiblicher und sinnlicher Gelüste, durch die er sich bestimmen liess, zuerst sogar sein Erstgeburtsrecht dem Jüngeren abzutreten, dann aber alsbald über den Verzicht Reue zu empfinden und einen tödlichen Hass gegen den Bruder zu fassen und auf nichts anderes sein Bemühen zu richten als auf das, womit er die Eltern betrüben konnte. 209 Darum erteilen sie dem Jüngeren die höchsten Segenswünsche (1 Mos. 27,27ff. 28,3.4), und Gott liess alle in Erfüllung gehen und wollte auch nicht einen unerfüllt lassen, dem andern aber gewähren sie aus Mitleid die untergeordnete Stellung, dass er nämlich dem Bruder dienen solle (1 Mos. 27,40); denn sie waren der ganz richtigen Meinung, es sei für den Schlechten das Beste, dass er nicht sein eigener Herr sei. 210 Hätte er nun diesen Dienst willig auf sich genommen, so wäre er wie bei Wettkämpfen des zweiten Tugendpreises gewürdigt worden. Er war aber eigenwillig und entzog sich der schönen Herrschaft und so wurde er für sich und seine Abkömmlinge die Ursache grosser Schande,


  1. Die Worte ὅτι μὴ χεῖρας καὶ ταύτας ἕνεκά τινος οἰκονομίας sind ein törichte Einschiebsel und daher gar nicht übersetzt.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/060&oldid=- (Version vom 1.8.2018)