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durch dasselbe bezeichneten Affekt statt, sondern beides, der Affekt und seine Äußerung, die innere Spannung und ihre Entladung sind in ein und demselben zeitlich-untrennbaren Akt gegeben. Jede Erregung des Inneren drückt sich, kraft eines Zusammenhangs, der sich rein physiologisch beschreiben und deuten läßt, ursprünglich in einer leiblichen Bewegung aus – und der weitere Fortgang der Entwicklung besteht nur darin, daß eine immer schärfere Differenzierung dieses Verhältnisses eintritt, indem sich mit bestimmten Erregungen bestimmte Bewegungen in immer genauerer Zuordnung verknüpfen. Freilich scheint diese Form des Ausdrucks über den bloßen „Abdruck“ des Inneren im Äußeren zunächst nicht hinauszugehen. Ein äußerer Reiz greift vom Sensiblen ins Motorische über, aber dies letztere bleibt dabei, wie es scheint, ganz innerhalb des Gebiets der bloßen mechanischen Reflexe, ohne daß sich in ihm vorerst eine höhere geistige „Spontaneität“ ankündigte. Und doch ist schon dieser Reflex das erste Anzeichen einer Aktivität, in der eine neue Form des konkreten Ichbewußtseins und des konkreten Gegenstandsbewußtseins sich aufzubauen beginnt. Darwin hat in seinem Werk über den „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ eine biologische Theorie der Ausdrucksbewegungen zu schaffen gesucht, indem er sie als Residuum ursprünglicher Zweckhandlungen deutet. Der Ausdruck eines bestimmten Affekts wäre demnach nichts als die Abschwächung einer früheren konkreten Zweckhandlung; der Ausdruck des Zorns z. B. das abgeschwächte und verblaßte Bild einer einstmaligen Angriffsbewegung, der des Schreckens das Bild einer Abwehrbewegung u. s. f. Diese Auffassung ist einer Auslegung fähig, die über den engeren Kreis von Darwins biologischer Problemstellung hinausführt und die Frage in einen allgemeineren Zusammenhang rückt. Jede elementare Ausdrucksbewegung bildet in der Tat insofern eine erste Grenzscheide der geistigen Entwicklung, als sie noch völlig in der Unmittelbarkeit des sinnlichen Lebens steht und doch andererseits über diese bereits hinausgeht. Sie schließt in sich, daß der sinnliche Trieb, statt direkt gegen sein Objekt vorzudringen und sich in ihm zu befriedigen und zu verlieren, eine Art Hemmung und Rückwendung erfährt, in der nun eine neue Bewußtheit eben dieses Triebes erwacht. In diesem Sinne bereitet gerade die Reaktion, die in der Ausdrucksbewegung enthalten ist, eine höhere geistige Stufe der Aktion vor. Indem die Aktion sich gleichsam aus der unmittelbaren Form des Wirkens zurückzieht, gewinnt sie damit für sich selbst einen neuen Spielraum und eine neue Freiheit; steht sie damit bereits an dem Übergang vom bloß „Pragmatischen“ zum „Theoretischen“, von dem physischen zum ideellen Tun. –

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/141&oldid=- (Version vom 21.8.2021)