Zum Inhalt springen

Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/161

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Auch in der Bestimmung der Zeitstufe einer Handlung kann sie ebensowohl als Ausdruck der Gegenwart oder Zukunft, wie als Ausdruck der Vergangenheit dienen[1]. Darin zeigt sich am deutlichsten, daß sie nicht sowohl die Wiedergabe eines fixen und eingeschränkten Vorstellungsinhalts ist, als sich vielmehr in ihr eine bestimmte Richtung der Auffassung und Betrachtung und gleichsam eine gewisse Vorstellungsbewegung ausprägt. Noch schärfer tritt die rein formale Leistung der Reduplikation dort heraus, wo sie aus der Sphäre des quantifizierenden Ausdrucks in den Kreis der reinen Relationsbestimmung übertritt. Sie bestimmt alsdann nicht sowohl die inhaltliche Bedeutung des Wortes, als seine allgemeine grammatische Kategorie. In Sprachen, die in der bloßen Wortform diese Kategorie nicht kenntlich machen, wird häufig durch die Laut- oder Silbenverdoppelung ein Wort aus der einen grammatischen Klasse in eine andere versetzt, also z. B. aus einem Nomen in ein Verbum verwandelt[2]. In allen diesen Erscheinungen, denen sich andere gleichartige an die Seite stellen ließen, tritt klar hervor, wie die Sprache auch dort, wo sie vom rein imitativen oder „analogischen“ Ausdruck ausgeht, den Kreis desselben ständig zu erweitern und schließlich zu durchbrechen strebt. Sie macht aus der Not der Vieldeutigkeit des Lautzeichens seine eigentliche Tugend. Denn gerade diese Vieldeutigkeit duldet nicht, daß das Zeichen bloßes Individualzeichen bleibt; gerade sie ist es, die den Geist zwingt, den entscheidenden Schritt von der konkreten Funktion des „Bezeichnens“ zur allgemeinen und allgemeingültigen Funktion der „Bedeutung“ zu tun. In ihr tritt die Sprache gleichsam aus den sinnlichen Hüllen, in denen sie sich bisher darstellte, heraus: der mimische oder analogische Ausdruck weicht dem rein symbolischen, der gerade in seiner Andersheit und kraft derselben zum Träger eines neuen und tieferen geistigen Gehalts wird.





  1. [1] So z. B. in der Tempusbildung des Verbums im Tagalischen (Humboldt, Kawi-Werk, II, 125 ff.).
  2. [2] Beispiele aus dem Javanischen in Humboldts Kawi-Werk II, 86 f.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/161&oldid=- (Version vom 6.10.2022)