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desiderativen und obligativen Modus, der ausdrückt, daß die Handlung getan werden soll, die rein theoretischen Modi, die von den Grammatikern als „Dubitativ“ oder „Quotativ“ bezeichnet werden, und die besagen, daß die Handlung zweifelhaft ist oder nur auf das Zeugnis eines andern hin berichtet wird[1]. Oft wird hier auch durch ein eigenes Suffix am Verbum kenntlich gemacht, ob das Subjekt den Vorgang, von dem es berichtet, selbst gesehen oder ob es ihn gehört hat oder ob es ihn, statt aus unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung, nur durch Vermutung und Schlußfolgerung kennt; auch wird gelegentlich die Kenntnis eines Vorgangs, die man durch einen Traum erlangt hat, von der im Wachen erlangten in dieser Weise unterschieden[2].

Stellt schon hierin sich das Ich der objektiven Wirklichkeit wollend oder fordernd, zweifelnd oder fragend, gegenüber: so gewinnt diese Gegenüberstellung ihre höchste Schärfe, wenn von der Einwirkung des Ich auf den Gegenstand und von ihren verschiedenen möglichen Formen die Rede ist. Viele Sprachen, die gegen den Unterschied des Aktiv und Passiv relativ gleichgültig sind, unterscheiden statt dessen aufs genaueste die Stufen dieser Einwirkung und ihre größere oder geringere Mittelbarkeit. Durch ein einfaches lautliches Mittel (wie etwa durch die Verdoppelung des mittleren Radikals in den semitischen Sprachen) kann z. B. aus dem Grundstamm des Verbums ein zweiter Stamm abgeleitet werden, der zunächst intensive, dann aber weiterhin allgemein-kausative Bedeutung besitzt; neben beide tritt noch ein dritter Stamm, dem speziell diese letztere Funktion zukommt. An die Kausative ersten Grades können sich dann solche zweiten und dritten Grades anschließen, durch die ein ursprünglich intransitiver Verbalstamm zu einer doppelt oder dreifach transitiven Bedeutung umgestaltet wird[3]. Es ist ersichtlich, wie sich in derartigen sprachlichen Erscheinungen die immer weitergehende Potenzierung widerspiegelt, die die Anschauung des persönlichen Wirkens selbst erfährt: statt der einfachen Auseinanderhaltung des Subjekts und des Objekts des Tuns, des Wirkenden und des Gewirkten schieben sich hier


  1. [1] S. Powell, The evolution of language (Rep. of the Smithson. Inst. of Washington, I), S. 12.
  2. [2] Beispiele bei Goddard, Athapascan, bei Swanton, Haida und bei Boas, Kwakiutl in Boas’ Handbook I, 105, 124, 247 ff., 443.
  3. [3] Vgl. z. B. Aug. Müller, Türk. Grammatik, S. 71 ff.; für die semitischen Sprachen s. Brockelmann, Grundriß I, 504 ff. Das Äthiopische besitzt nach Dillmann (Äthiop. Grammat., S. 116 ff.) neben dem Grundstamm einen „Steigerungsstamm“ (Intensivstamm) und einen „Einwirkungsstamm“; von allen dreien werden durch ein und dasselbe Bildungsmittel, aber unter Belassung ihrer übrigen Eigentümlichkeiten, wieder drei Kausativstämme abgeleitet.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/233&oldid=- (Version vom 19.12.2022)