heraustritt. Aber von hier aus bedarf es nun nur noch eines weiteren Schrittes, um das Verhältnis umzukehren: um den Bestand der Beziehung als den eigentlichen Inhalt und das eigentliche logische Fundament des Begriffs, die „Allgemeinvorstellung“ dagegen nur als ein keineswegs immer erforderliches und erreichbares psychologisches Accidens desselben anzusehen. Lotze hat diesen Schritt nicht getan; statt die Forderung der Bestimmung, die der Begriff stellt, scharf und prinzipiell von der Forderung der Allgemeinheit abzutrennen, werden ihm die primären Bestimmtheiten, zu denen der Begriff hinführt, selbst wieder zu primären Allgemeinheiten, so daß es nun für ihn, statt zwei charakteristische Leistungen des Begriffs, vielmehr zwei Formen des Allgemeinen: ein „erstes“ und ein „zweites“ Allgemeine gibt. Aber aus seiner eigenen Darstellung geht hervor, daß diese beiden Arten kaum mehr als den Namen miteinander gemein haben, dagegen in ihrer eigentümlichen logischen Struktur aufs schärfste geschieden sind. Denn das Verhältnis der Subsumtion, das die traditionelle Logik als die konstitutive Beziehung ansieht, durch die das Allgemeine mit dem Besonderen, die Gattung mit den Arten und Individuen zusammenhängt, ist auf die Begriffe, die Lotze als das „erste Allgemeine“ bezeichnet, nicht anwendbar. Das Blau und das Gelb stehen nicht als Besonderungen unter der Gattung der „Farbe überhaupt“, sondern „die“ Farbe ist nirgends anders als in ihnen, sowie in der Gesamtheit der sonstigen möglichen Farbennuancen, enthalten und nur als eben diese reihenmäßig geordnete Gesamtheit selbst denkbar. Damit aber sind wir, von Seiten der allgemeinen Logik selbst, auf eine Unterscheidung hingewiesen, die auch durch die Bildung der sprachlichen Begriffe überall hindurchgeht. Bevor die Sprache zur generalisierenden und subsumierenden Form des Begriffs übergehen kann, bedarf sie einer anderen rein qualifizierenden Art der Begriffsbildung. In ihr erfolgt die Benennung nicht von der Gattung aus, der irgendein Ding angehört, sondern sie knüpft an irgendeine einzelne Beschaffenheit an, die an einem anschaulichen Gesamtinhalt erfaßt wird. Die Arbeit des Geistes besteht nicht darin, daß der Inhalt unter einen anderen gestellt wird, sondern daß er als ein konkretes, aber undifferenziertes Ganze insofern eine weitere Besonderung erfährt, als an ihm ein bestimmtes charakteristisches Moment herausgehoben und in den Blickpunkt der Betrachtung gerückt wird. Auf dieser Konzentration des geistigen Blicks beruht die Möglichkeit der „Benennung“: die neue gedankliche Prägung, die der Inhalt erfährt, ist die notwendige Bedingung für seine sprachliche Bezeichnung.
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/266&oldid=- (Version vom 10.2.2023)