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In dieser Doppelrichtung vom Inneren zum Äußeren hin und von diesem wieder zu jenem zurück, in diesem Fluten und Rückfluten des Geistes stellt sich für ihn erst die Gestalt sowie die Begrenzung der inneren und äußeren Wirklichkeit her.

Mit alledem ist freilich zunächst nur ein abstraktes Schema der sprachlichen Begriffsbildung aufgestellt, ist gleichsam nur der Rahmen für sie bezeichnet, ohne daß bisher die Einzelzüge des Bildes selbst herausgetreten sind. Um zu einer genaueren Erfassung dieser Einzelzüge vorzudringen, muß man die Art verfolgen, in der die Sprache allmählich von einer rein „qualifizierenden“ Auffassung zur „generalisierenden“, in der sie vom Sinnlich-Konkreten zum Generisch-Allgemeinen fortschreitet. Vergleicht man die sprachliche Gestaltung der Begriffe in unseren entwickelten Kultursprachen mit derjenigen in den Sprachen der Naturvölker, so tritt der Gegensatz der Grundanschauung alsbald klar hervor. Die letzteren sind überall dadurch ausgezeichnet, daß sie jedes Ding, jeden Vorgang, jede Tätigkeit, die sie bezeichnen, in höchster anschaulicher Bestimmtheit hinstellen, daß sie alle differenzierenden Eigenschaften des Dinges, alle konkreten Besonderungen des Vorganges, alle Modifikationen und Nuancierungen des Tuns aufs deutlichste zum Ausdruck zu bringen streben. In dieser Hinsicht besitzen sie eine Ausdrucksfülle, die von unseren Kultursprachen niemals auch nur annähernd erreicht wird. Insbesondere sind es die räumlichen Bestimmungen und Verhältnisse, die hier, wie sich bereits gezeigt hat, ihre sorgsamste Ausprägung finden[1]. Aber neben die räumliche Besonderung der Verbalausdrücke tritt weiterhin ihre Besonderung nach den verschiedenartigsten anderen Gesichtspunkten. Jeder modifizierende Umstand einer Handlung, mag er ihr Subjekt oder ihr Objekt, mag er ihr Ziel oder das Werkzeug, mit dem sie ausgeführt wird, betreffen, wirkt unmittelbar auf die Wahl des Ausdrucks ein. In einigen nordamerikanischen Sprachen wird die Tätigkeit des Waschens durch dreizehn verschiedene Verba bezeichnet, je nachdem es sich um das Waschen der Hände oder des Gesichts, um das Waschen


    den einschlagenden Blitz, sondern der Blitz ist es selbst, der herniederfährt … Der Gedanke, wenn man sich so sinnlich ausdrücken könnte, verläßt durch das Verbum seine innere Wohnstätte und tritt in die Wirklichkeit über.“ (Einleit. zum Kawi-Werk, W. VII, 1, 214.) Auf der anderen Seite betont z. B. Hermann Paul, daß schon die sprachliche Form des Verbums als solche ein Moment der Naturbelebung in sich schließe, das der mythischen „Beseelung“ des Universums verwandt sei: in der Verwendung des Verbums überhaupt liege schon „ein gewisser Grad von Personifikation des Subjekts“ (Prinzipien der Sprachgeschichte ³, S. 89).

  1. [1] Vgl. ob. S. 147 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/273&oldid=- (Version vom 4.3.2023)