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worden. Für Humboldt ist das Lautzeichen, das die Materie aller Sprachbildung darstellt, gleichsam die Brücke zwischen dem Subjektiven und Objektiven, weil sich in ihm die wesentlichen Momente beider vereinen. Denn der Laut ist auf der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt. Wir erfassen und kennen ihn daher als ein zugleich „Inneres“ und „Äußeres“ – als eine Energie des Inneren, die sich in einem Äußeren ausprägt und objektiviert. „Indem in der Sprache das geistige Bestreben sich Bahn durch die Lippen bricht, kehrt das Erzeugnis desselben zum eigenen Ohr zurück. Die Vorstellung wird also in wirkliche Objektivität hinüberversetzt, ohne darum der Subjektivität entzogen zu werden. Dies vermag nur die Sprache; und ohne diese, wo Sprache mitwirkt, auch stillschweigend immer vorgehende Versetzung in zum Subjekt zurückkehrende Objektivität ist die Bildung des Begriffs, mithin alles wahre Denken unmöglich … Denn die Sprache kann ja nicht als ein daliegender, in seinem Ganzen übersehbarer oder nach und nach mitteilbarer Stoff, sondern muß als ein sich ewig erzeugendes angesehen werden, wo die Gesetze der Erzeugung bestimmt sind, aber der Umfang und gewissermaßen auch die Art des Erzeugnisses gänzlich unbestimmt bleiben … Wie der einzelne Laut zwischen den Gegenstand und den Menschen, so tritt die ganze Sprache zwischen ihn und die innerlich und äußerlich auf ihn einwirkende Natur. Er umgibt sich mit einer Welt von Lauten, um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten[1].“ In dieser kritisch-idealistischen Auffassung der Sprache ist zugleich ein Moment bezeichnet, das für jede Art und für jede Form der Symbolgebung gültig ist. In jedem von ihm frei entworfenen Zeichen erfaßt der Geist den „Gegenstand“, indem er dabei zugleich sich selbst und die eigene Gesetzlichkeit seines Bildens erfaßt. Und diese eigentümliche Durchdringung bereitet erst der tieferen Bestimmung der Subjektivität wie der Objektivität den Boden. Auf der ersten Stufe dieser Bestimmung hat es den Anschein, als ob die beiden gegensätzlichen Momente noch einfach getrennt neben und gegen einander stünden. Die Sprache etwa kann in ihren frühesten Bildungen gleich sehr als reiner Ausdruck des Inneren, wie des Äußeren, als Ausdruck der bloßen Subjektivität, wie der bloßen Objektivität gefaßt werden. In der ersteren Hinsicht scheint der Sprachlaut nichts anderes als den Erregungs- und Affektlaut, in der zweiten nichts anderes als den einfachen Nachahmungslaut zu bedeuten. Die


  1. [1] S. Humboldt, Einleit. zum Kawi-Werk, S.-W. (Akademie-Ausg.), VII, 55 ff.
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/41&oldid=- (Version vom 15.9.2022)