treten versucht, muß sich demnach ihre Ohnmacht unverkennbar erweisen. Aber das πρῶτον ψεῦδος der skeptischen Sprachkritik liegt eben darin, daß dieser Maßstab als der allein gültige, als der einzig-mögliche vorausgesetzt wird. In Wahrheit aber zeigt die Analyse der Sprache – insbesondere wenn man nicht von der bloßen Einzelheit des Wortes, sondern von der Einheit des Satzes ausgeht –, daß jeder sprachliche Ausdruck, weit entfernt, ein bloßer Abdruck der gegebenen Empfindungs- oder Anschauungswelt zu sein, vielmehr einen bestimmten selbständigen Charakter der „Sinngebung“ in sich faßt. Und das gleiche Verhältnis tritt bei den Zeichen der verschiedensten Art und Herkunft hervor. Von ihnen allen läßt sich in gewissem Sinne sagen, daß sie ihren Wert nicht sowohl in dem besitzen, was sie vom konkret-sinnlichen Einzelinhalt und seinem unmittelbaren Bestand festhalten, als in dem, was sie von diesem unmittelbaren Bestand unterdrücken und fallen lassen. Auch die künstlerische Zeichnung wird zu dem, was sie ist und wodurch sie sich von einer bloß mechanischen Reproduktion unterscheidet, erst durch das, was sie am „gegebenen“ Eindruck wegläßt. Sie ist nicht die Wiedergabe des letzteren in seiner sinnlichen Totalität, sondern sie hebt an ihm bestimmte „prägnante“ Momente heraus, d. h. Momente, durch die das Gegebene über sich selbst erweitert und die künstlerisch-aufbauende, die synthetische Raumphantasie in eine bestimmte Richtung geleitet wird. Was hier, wie in anderen Gebieten, die eigentliche Kraft des Zeichens ausmacht, ist somit eben dies: daß in dem Maße, als die unmittelbaren Inhaltsbestimmungen zurücktreten, die allgemeinen Form- und Relationsmomente zu um so schärferer und reinerer Ausprägung gelangen. Das Einzelne als solches wird scheinbar beschränkt; aber eben damit vollzieht sich um so bestimmter und kräftiger jene Leistung, die wir als „Integration zum Ganzen“ bezeichnet haben. Daß alles Einzelne des Bewußtseins nur dadurch „besteht“, daß es das Ganze potentiell in sich schließt und gleichsam im steten Übergang zum Ganzen begriffen ist, hat sich bereits gezeigt. Der Gebrauch des Zeichens aber befreit diese Potentialität erst zur wahrhaften Aktualität. Jetzt schlägt in der Tat ein Schlag tausend Verbindungen, die alle in der Setzung des Zeichens zum mehr oder minder kräftigen und deutlichen Mitschwingen gelangen. In dieser Setzung löst sich das Bewußtsein mehr und mehr von dem direkten Substrat der Empfindung und der sinnlichen Anschauung los: aber gerade darin beweist es um so entschiedener die in ihm liegende ursprüngliche Kraft der Verknüpfung und Vereinheitlichung.
Am klarsten tritt vielleicht diese Tendenz in der Funktion der wissenschaftlichen
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/60&oldid=- (Version vom 20.8.2021)